Wenn Elton John grinst

Das große CD-Sterben: Erste Obduktionen der Leichen im Regal wecken Hoffnungen

Verfechter der alten Vinylschallplatte haben immer wieder Horrormeldungen in Umlauf gebracht, die besagen, dass CDs gar nicht ewig halten, sondern irgendwann mit einem Schlag sämtliche Informationen verlieren werden. Wo die gute, alte Schallplatte im Laufe der Jahrzehnte höchstens ein paar Kratzer, eben würdige Spuren des Alterns bekommt, soll die CD sich nach gewisser Zeit ihrem Wesen gemäß klinisch sauber und perfekt in Nichts auflösen. Von Oxydation und sich ablösender Schutzschicht ist die Rede – allein die Angabe, in welchem Zeitraum sich diese Selbstzerstörung vollzieht, bleibt stets vage, mal ist von dreißig, mal von vierzig Jahren die Rede. Da CDs erst in den Achtzigerjahren auf den Markt kamen, nähern wir uns also jetzt erst jener magischen Schwelle, an der sich die Prognose vom kollektiven Verfall wird nachprüfen lassen.

Es war ein Abend typischer Zweisamkeit bei Oliven und Wein, fast einem Film entnommen, hätte ich als Gastgeber nur stimmungsvoll eine Schallplatte aufgelegt und langsam den Arm herunter gesetzt, auf dass das Knistern der Einlaufrille sich erwartungsvoll im Raum hätte entfalten können. Stillos bequem jedoch klatschte ich eine CD in die dafür vorgesehene Schublade, die gierig schmatzend zuschnappte. In Erinnerung an alte Zeiten hatte ich eine meiner ersten selbst gekauften aufgelegt, Roxy Music, damals begierig darauf, das leise, sprichwörtlich knisternde „For Your Pleasure“ einmal ohne störendes Knistern hören zu können. An diesem Abend kam jedoch gar nichts. Beklemmende digitale Stille erfüllte den Raum. Die Musik auf der CD war verschwunden, die Oberfläche rostbraun oxydiert. Was folgte, war also nicht die sonore Stimme von Brian Ferry, sondern mein Lamento über die Vorteile der Schallplatte und den Betrug des digitalen Zeitalters, das meinen Besuch letztlich veranlasste, sich noch vor Mitternacht auf den Heimweg zu begeben.

Mir aber ließ die Sache keine Ruhe. Noch in derselben Nacht überprüfte ich alle CDs und fiel erschöpft ins Bett, nachdem sich die von Roxy Music als die einzige, genauer gesagt bislang erste Leiche im Regal herausgestellt hatte. Nach unruhigen, von durcheinander wirbelnden Nullen und Einsen bestimmten Träumen folgte ein ganzer Tag Recherche, der ein wenig Hoffnung gab: Tatsächlich hatte Anfang der Achtzigerjahre ein ganz bestimmtes Presswerk in Großbritannien mit aggressiven CD-Beschichtungen gearbeitet, deren zerstörende Wirkung jedoch eine absolute Ausnahme darstellen sollte. Das Werk sei sogar bereit, defekte CDs zu ersetzen. Nachdem anhand der Seriennummer geklärt war, dass meine CD aus dieser Pfuscherwerkstatt stammte, schickte ich den bronzefarbenen Musikkadaver ins Königreich und fand keine zehn Tage später Antwort in meinem Briefkasten. Mit der Begründung, dass die von mir eingesandte CD nicht mehr erhältlich wäre, bekam ich „Best of Elton John“ als Ersatz. Ob sie funktioniert, weiß ich bis heute nicht. Auf romantische Abende dieser Art verzichte ich gern und habe sie verschweißt gelassen. Doch immer wieder, wenn mein Blick auf den grinsenden Elton John fällt, beschleicht mich das wärmende Gefühl, dass das CD-Sterben doch gar keine so üble Sache ist. MARTIN BÜSSER