Live aus Bagdad

Die Korrespondenten der arabischen TV-Sender haben oft einen irakischen Pass und kennen ihr Land. Doch das macht ihre Arbeit umso schwieriger

In jedem Iraker schlummert ein kleiner Polizist, der auf ihn selbst aufpasst

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Es sind zwei Dinge, die den Fernsehjournalisten Diyar Omari von den ausländischen Kollegen im Pressezentrum unterscheiden: Der Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira in Bagdad hat einen irakischen Pass – und seine Familie lebt eine Viertelstunde von seinem Büro am Tigris entfernt. „Meine ausländischen Kollegen haben Glück. Sie berichten über einen Krieg und fahren dann nach Hause“, sagt er. „Ich dagegen werde mit allen Konsequenzen des Krieges leben müssen.“

Seit drei Jahren arbeitet Omari für den derzeit prominentesten arabischen Kanal, seit 2002 ist der 35-Jährige Chefkorrespondent in Bagdad. „Wenn immer ich live vor der Kamera stehe, denke ich an meine Frau, meine Kinder, die irakischen Behörden, meinen Chefredakteur und an mich selbst“, sagt er. Denn Omari muss vorsichtiger sein als seine ausländischen Kollegen. Als er vor wenigen Wochen bei einer Liveschaltung statt von der „irakischen Regierung“, vom „irakischen Regime“ sprach, bekam er gleich zehn Tage Berufsverbot. „Das Schlimmste, was den ausländischen Journalisten passieren kann, ist, dass sie aus dem Land geworfen werden.“

Dafür hat Omari aber sehr viel mehr Kenntnis über sein eigenes Land und dessen komplexe Situation als die angereisten Kollegen aus aller Welt. Wenn er einen Beitrag darüber macht, wie sich Iraker auf den Krieg vorbereiten, weiß er genau, wovon er spricht: „Ich bin einer von ihnen. Und horte genau wie sie Essen, Wasser und Benzin.“

Während des letzten Golfkrieges 1991 machte Omari erstmals Erfahrungen mit dem Nachrichtengeschäft, als ein CNN-Team auf den Bagdader Universitätscampus kam, um Studenten zu interviewen. Omari, der als Kind zwei Jahre in England gelebt hatte, wo sein Vater als Biologieprofessor arbeitete, bot sich als Übersetzer an. Dem Psychologiestudenten gefiel es, „etwas schnell fertig zu machen“ – und auch das Risiko, das manchmal damit verbunden war. So arbeitete er sich hoch, als Übersetzer für amerikanische und japanische TV-Sender, nebenbei versorgte er britische Medien mit Informationen aus Bagdad. Vorrübergehend arbeitete er auch im englischsprachigen Dienst des staatlichen irakischen Fernsehens, ehe er im Jahr 2000 zum ersten Mal selbst und für al-Dschasira, die spätestens seit ihrer Übertragung der Videos des Terroristen-Chefs Ussama Bin Laden international bekannte Station aus dem Golfemirat Katar, vor der Kamera stand.

Die großen arabischen Sender sind in ihrer Berichterstattung aus Bagdad heute den westlichen Fernsehstationen voraus, sagt Omari – einer der wichtigsten Unterschiede zum Golfkrieg 1991. Über seinem Schreibtisch hängt ein Al-Dschasira-Poster: „Alle Welt sieht CNN, aber welche Fernsehstation sieht CNN – al-Dschasira“, heißt es darauf selbstbewusst.

Von den westlichen Medien hat er gelernt, wie man Nachrichten interessant präsentiert, von den irakischen Medien, wie man in einer von den Behörden kontrollierten Mediensphäre doch noch arbeiten kann. Leicht sei das nicht, erzählt Omari. Die meisten Menschen könnten sich über ausländische Radiostationen und die Gerüchteküche mehr schlecht als recht informieren. „Manchmal“, sagt Omari, „frage ich jemanden, was er über die letzte Rede des US-Präsidenten denkt, und bekomme die Antwort, welche Rede?“ Außerdem hätten viele Menschen Angst vor der Kamera und reagierten regelrecht „allergisch“ auf Journalisten: „In jedem Iraker schlummert ein kleiner Polizist, der auf ihn selbst aufpasst.“

Sein Kollege Schaker Hamid, ebenfalls ein Iraker, arbeitet als Korrespondent bei der Konkurrenz von Abu Dhabi TV. Der 46-Jährige hat mehr Kriegserfahrung als Omari. Im Iran-Irak-Krieg leistete er Wehrdienst – als Frontberichterstatter. Hamid weiß auch, was es bedeutet, wenn Bomben auf Bagdad fallen. Er hatte in den ersten Tagen des letzten Golfkrieges die Studios des irakischen Fernsehens nur wenige Minuten verlassen, als das Gebäude dem Erdboden gleich gemacht wurde. „Das war reiner Zufall. Ich hatte wahnsinniges Glück“, sagt er heute.

Später machte er Karriere beim staatlichen Fernsehen, war sogar kurzzeitig dessen Direktor, doch als das eben gegründete al-Dschasira 1996 einen Korrespondenten in Bagdad suchte, konnte er nicht widerstehen. Zwei Jahre später berichtete er drei Tage und drei Nächte lang ununterbrochen über Operation Desert Fox, die letzte US-Bombardierung der irakischen Hauptstadt. Schon damals wurden seine Liveberichte von 50 Fernsehstationen übernommen – Hamid war plötzlich eine Berühmtheit in der arabischen Welt. Vor drei Jahren wechselte er dann zum neu aufgebauten Nachrichtenkanal von Abu Dhabi TV.

Seine Loyalität, erklärt Hamid, liege bei seinen Berichten bei der Wahrheit, aber als Iraker fühle er sich noch zusätzlich besonders verpflichtet, den Menschen, die das Land nicht kennen, alles genau zu erklären. Ob er auch US-Soldaten interviewen würde, wenn sie in die Stadt einrücken? Hamid lacht. „Selbstverständlich“, sagt er „warum nicht?“, und fügt dann vorsichtig hinzu: „Wenn sie tatsächlich kommen.“