Biowaffenanschlag in der Salatbar

Auch wenn George Bush nicht mehr darüber redet: Der internationale Terrorismus existiert noch. Ein Handbuch befasst sich mit Tätern und Opfern

Der erste Anschlag mit Biowaffen in den USA ereignete sich weitgehend unbemerkt im Spätsommer des Jahres 1984. Aus dem indischen Poona kommend, hatte sich die Sekte des Bhagwan Shree Rajneesh auf einem Farmgelände in Oregon niedergelassen. Die 4.000 Kopf große Kommune expandierte schnell und wollte daher bei den Wahlen im November jenen Jahres die Kontrolle über das Wasco County gewinnen. Nur: Die meisten Sektenmitglieder waren keine US-Bürger und daher nicht wahlberechtigt. So verfiel die Sektenführung auf den Plan, die wahlberechtigten Einheimischen am Urnengang zu hindern – durch den Einsatz biologischer Gifte. Eine Krankenschwester der Sekte emfpfahl den Einsatz des Erregers Salmonella typhimurium, den sie in einem geheimen Labor auf der Ranch züchtete. Im Spätsommer verseuchten Sektenmitglieder Lebensmittel und Salatbars in mindestens zehn Restaurants. Trotz ihrer „Erfolge“ stellte die Sekte ihre Bioanschläge gegen die Wahlbevölkerung ein, und Bhagwan selbst enthüllte am 16. September 1985 die Umtriebe der hinter seinem Rücken agierenden Bioterroristen.

An diesen seltsamen Anschlag erinnert nun der Berliner Publizist Berndt Georg Thamm in „Terrorismus – Ein Handbuch über Täter und Opfer“: Die Attacke sei „der erste groß angelegte terroristische Einsatz von Kranheitserregern auf amerikanischem Boden“ gewesen und Fachleute hätten sich schon damals gefragt, ob dieser Anschlag kommendes Unheil ankündige. Leider hat der Autor vergessen, die genauen Folgen des Anschlags zu schildern. Der Grund mag darin liegen, dass Thamm dafür der Platz in seinem 528 Seiten starken Handbuch zu schade war. Es ist nämlich weniger ein unterhaltsames Sachbuch, als vielmehr eine Sammlung komplexer Texte über die vielfältigen Formen des Terrorismus, dessen Verflechtung mit Staatsterrorismus sowie die Verbindungen zum internationalen Drogen- und Waffenhandel.

Thamm ist ein guter Kenner der Szene. Das zeigte sich etwa kurz vor den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington, als er in der Zeitschrift der Deutschen Polizeigewerkschaft eine umfangreiche Titelgeschichte darüber veröffentlichte, welche Gefahren von dem Terrornetz al-Qaida und dessen damals recht unbekanntem Führer Ussama Bin Laden ausgingen.

Diese Überlegungen über den Terrorismus systematisiert Thamm in seinem Handbuch – unter Mitarbeit von Thomas Gandow (Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg), dem Islamwissenschaftler Rainer Glagow, der Sozialwissenschaftlerin Jutta Helmrichs und dem Präsidenten der Polizei-Führungsakademie, Klaus Neidhardt. Eine untergeordnete, weil heute nicht mehr relevante Rolle spielt der Terrorismus der Roten Brigaden, der Roten-Armee-Fraktion oder der Gruppe internationaler Revolutionäre des legendären „Carlos“. Mit dem Ende des Kalten Krieges, so Thamm, haben sich auch die Formen des Terrorismus verändert. Der politisch motivierte Terrorismus hat zunehmend an Bedeutung verloren. Nach dem Ende der Blockkonfrontation wurden „Carlos“ oder „Abu Nidal“ als Drohpotenzial oder Exekutionskommando nicht mehr gebraucht – oder sogar zur politischen Last.

Thamm widmet sich ausführlich den neuen Terrorismusformen, die er in drei Kategorien einteilt: den „ethnonationalen“ Terrorisms, den „symbiotischen“ und den „religiös motivierten“. Zu den ethnonationalen Organisationen zählt er die baskische ETA iund die nordirische IRA, die tamilischen Befreiungstiger, aber auch Palästinenserorganisationen wie die Hamas.

Unter dem „symbiotischen Terrorismus“ versteht Thamm etwa die Verbindungen zwischen Terrorismus und Drogenkartellen. Beispielhaft sei hier das Medellín-Kartell in Kolumbien angeführt, Thamm spricht in dieser Kategorie auch von einem „Narcoterrorismus“.

In den Kapiteln zum religiös motivierten Terrorismus untersucht Thamm schließlich Herkunft und Entstehen des islamistischen Fundamentalismus. Er beschreibt etwa den Werdegang Ussama Bin Ladens und die Reorganisation des von diesem inspirierten und finanzierten Terrornetzes al-Qaida nach dem Ende des Afghanistankrieges. Eigene Kapitel widmet der Autor Theorie und Praxis des Islamischen Dschihad sowie der japanischen Sekte Aum Shinri Kyo, die in Tokio mörderische Giftgasanschläge auf die U-Bahnen verübte.

Von „Abu Nidal“ über „Märtyrertod“ und „Taliban“ bis zu „Trauer“ hat Thamm 90 lexikalische Stichwortkästen in sein Buch aufgenommen. Sie erläutern die Wirkungsweise von Giftstoffen, die Märtyrerideologie palästinensischer Selbstmordattentäter und den vermeintlichen Kampf der Kulturen. Das Handbuch ist also, was der Titel verspricht: ein kenntnisreiches Kompendium über Täter und Opfer. WOLFGANG GAST

Berndt Georg Thamm: „Terrorismus. Ein Handbuch über Täter und Opfer“, 528 Seiten, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 2002, 29,90 €