Widersprüche nach Al-Qaida-Fang

In Pakistan widersprechen Angehörige des mutmaßlichen Komplizen von Chalid Scheich Mohammed der offiziellen Version seiner Verhaftung und legen frühere Festnahme nahe. Innenminister: Mohammed wurde noch nicht an USA ausgeliefert

von BERNARD IMHASLY

Ist der mutmaßliche Al-Qaida-Führer Chalid Scheich Mohammed gar schon vor einigen Tagen verhaftet worden? Der offiziellen Version der Verhaftung Mohammeds und zweier Komplizen ist von Bewohnern des Hauses, in dem sich Mohammed aufhielt, widersprochen worden. Laut Medienberichten aus Pakistan behauptet die Schwester von Abdul Qudoos, in deren Elternhaus in Rawalpindi die Razzia am Samstag durchgeführt worden war, nur Qudoos sei dabei verhaftet worden. Um 3.30 Uhr morgens seien 20 Beamte, darunter US-Amerikaner, ins Haus eingedrungen. Sie hätten die Frauen und Kinder in ein Zimmer gesperrt, während sie die Tür zum Zimmer von Qudoos aufbrachen und ihn – und nur ihn – abführten.

Die Frau sagte, ihr Bruder habe nichts mit al-Qaida zu tun. Dazu sei er auch nicht fähig, da er geistig beschränkt sei. Er sei arbeitslos, und deshalb lebe die Familie immer noch bei den Eltern. Auch Qudoos' Mutter, die politisch in der konservativ-bürgerlichen Jamaat Islami tätig ist, wies die Version des pakistanischen Militär-Geheimdienstes ISI und des FBI zurück. Pakistans Innenminister Fasal Salah Hayat erklärte, es sei nicht anders zu erwarten, dass Angehörige von Verdächtigen an deren Unschuld glaubten. Hayat steigerte jedoch die Konfusion, als er behauptete, Mohammed befinde sich weiter in pakistanischem Gewahrsam. Zuvor hatten Agenturen pakistanische Stellen zitiert, wonach Mohammed noch am Samstag auf der Luftwaffenbasis von Chaklala in ein wartendes US-Flugzeug gebracht worden sei. Der US-Sender CNN zitierte gestern einen US-Geheimdienstbeamten mit den Worten, bei der Vernehmung Mohammeds werde „jeder mögliche Druck“ angewendet, um ihm Informationen über geplante Anschläge zu entlocken. Bereits zuvor wurden bei Verhören mutmaßlicher Al-Qaida-Mitglieder folterähnliche Methoden angewendet.

Ein mit dem ISI vertrauter pakistanischer Journalist wies die Version der Angehörigen nicht von der Hand. Es sei durchaus möglich, dass Mohammed bereits einige Tage zuvor gefasst worden sei. Man habe den Fang geheim halten wollen, um aufgrund der erbeuteten Informationen erneut gegen al-Qaida zuschlagen zu können. Die Razzia vom Samstag war demnach inszeniert, um die Verhaftung publik zu machen. Für Pakistans Bevölkerung, die dem ISI diabolische Fähigkeiten zutraut, müsse der unbescholtene Qudoos als „Bauernopfer“ herhalten. Dessen mentale Beschränktheit würde sicherstellen, dass er nie die offizielle Sicht in Frage stelle.

Träfen die Behauptungen der Angehörigen zu, würde dies dieBedeutung des Fangs von Chalid Scheich Mohammed nur noch erhöhen. Die Reaktionen in Washington, angefangen bei der von Präsident Bush („Das ist fantastisch!“), weisen darauf hin, dass mit der Verhaftung das Zentrum des Netzwerks getroffen wurde. Die beiden Vorsitzenden der Kommissionen für die Nachrichtendienste im US-Kongress behaupteten, mit Mohammed habe man den Mann gefunden, dessen Pläne die USA vor drei Wochen zur Erhöhung der Alarmstufe bewogen habe.

Pakistanische Medien berichteten, die Sicherheitsdienste seien bereits dreimal an ihn herangekommen. Die letzte Gelegenheit bot sich in Karatschi im September, als Mohammeds rechte Hand Ramsi Binalshibh gefasst wurde. Die Festnahme des Jemeniten, der als Cheflogistiker der Hamburger Terrorzelle um den Todespiloten Mohammed Atta gilt, habe „den Weg zu Scheich Mohammed gewiesen“, so ein US-Geheimdienstmitarbeiter in der Washington Post. Bisher lieferte Pakistan über 300 Al-Qaida-Verdächtige an die USA aus.