Intimität und Gewalt

Feindliche Körperwelten vernetzt mit messianisch-apokalyptischer Technologie- und Medienkritik: Von „Shivers“ bis „Crash“. Das B-Movie zeigt im März sieben Filme des kanadischen Körper-Horror-Spezialisten David Cronenberg

Die Entrüstung der staatlichen Kulturhüter endete beim nächsten Kontoauszug

von DAVID KLEINGERS

Wenn David Cronenberg heutzutage in der Öffentlichkeit auftritt, umgibt ihn immer ein wenig die Aura eines höflichen Akademikers. Eine passende Rolle, denn als verbrieft visionärer Filmemacher und unumstrittener Doyen des „Body Horror“ ist er längst Teil des Kanons geworden. Angesichts solch grau melierter Autorität fällt die Vorstellung ziemlich schwer, dass der 1943 in Toronto geborene Regisseur einst für heftige Diskussionen an den Filmhochschulen sorgte. Mehr noch, Cronenberg gelang zu Beginn seiner Karriere das, wovon so manche selbst ernannten Avantgardisten nur träumen können: Skandale vom Format einer Staatskrise zu produzieren.

1975 erhielt Cronenberg von der Canadian Film Development Corporation (CFDC) 180.000 Dollar für sein Spielfilmdebüt Shivers (Parasiten-Mörder). Das Gremium zeigte sich jedoch alles andere als begeistert von dem Projekt, und nach der Premiere schlug die Skepsis in offene Ablehnung um. Kein Wunder bei der Parade-Exploitation über phallische Wabbel-Würmer, die die Bewohner einer Hochhaussiedlung befallen, um sie in sexwütige Mordmaschinen zu verwandeln.

Die Empörung war groß, und sogar das kanadische Parlament diskutierte, ob eine staatliche Förderung für despektierliche Horror-Filme zu vertreten sei. Doch die Entrüstung der Kulturhüter endete beim nächsten Kontoauszug: Mit weltweit 5 Millionen Dollar Einnahmen war Shivers die bis dahin erfolgreichste Produktion der CFDC, und somit durfte Cronenberg weiterhin Steuergelder in bitterböse Schreckensszenarien wie Rabid (1976) und The Brood (1979) investieren. Ihren Höhe- und vorläufigen Endpunkt erreichte diese thematisch eng verwobene Reihe expliziter Schocker mit Scanners (1980) und Videodrome (1982). Sicher war Scanners mit seinen telepathischen Titelhelden im wahrsten Sinne des Wortes mind-blowing. Doch erst Videodrome vernetzte die feindlichen Körperwelten mit jener messianisch-apokalyptischen Technologie- und Medienkritik, die zum Markenzeichen Cronenbergs werden sollte. Mit James Woods in der Hauptrolle lässt der konsequente Hardware-Horror sein Personal zu monströsen Video-Abspielern mutieren und propagiert so die düstere Vision eines „New Flesh“. Zudem wird das unheilige Wort dieser TV-Religion mittels sadistischer Pornofilme übermittelt, womit Videodrome die pessimistische Kausalität nahezu sämtlicher Filme Cronenbergs demonstriert: keine Intimität ohne Gewalt.

Tatsächlich kommt die „sexuelle Revolution“ bei Cronenberg zu einem hohen Preis, und die „Befreiung“ des Körpers in seinen Filmen ist wahrlich kein schöner Anblick. Derart unversöhnlich zeigen sich die grotesken Phantasmagorien mit der liberalen Idee eines selbstbestimmten Subjekts, dass nicht wenige Kritiker Cronenberg eine reaktionäre (Körper-)Politik vorwerfen. Ist Cronenberg nun skeptischer Anti-Humanist oder ein bilderstürmender Zensor, der jedes Streben nach Emanzipation drastisch bestraft? Dass diese Frage bis heute nicht eindeutig beantwortet werden konnte, zeugt von der beunruhigenden und dauerhaften Ambiguität seiner Filme.

Eine deutlich geringere Halbwertzeit haben hingegen die beiden Großproduktionen vorzuweisen, die Cronenberg nach seinen kanadischen Low-Budget Erfolgen in Hollywood inszenierte. Dabei ist The Dead Zone (1983) zweifelsohne ein gelungener Crossover aus Parapsychologie und Polit-Thriller – und wohl die einzig brauchbare Verfilmung eines Stephen King-Romans jenseits von Shining –, aber selbst mit Christopher Walken als gepeinigtem Seher läuft das Ganze allzu geregelt ab. Ähnliches gilt für The Fly (1986), die bis dato erfolgreichste Regiearbeit Cronenbergs.

Mehr oder minder aufregende Arbeiten folgten, bis Cronenberg Mitte der 90er Jahre mit einem grandiosen U-Turn sein eigenes Kino an die Wand fuhr: Das hypnotische Verkehrs- und Versehrten-Drama Crash (1995/96) verwandelte den materialistischen Horror Cronenbergs in ein dunkles, sonderbar berührendes Requiem für Mensch und Maschine. Und vielleicht bleibt Crash ja sein vollendetster Film, aber mit Sicherheit hat er das alte Versprechen des Regisseurs erneuert – dorthin zu gehen, wo es wirklich wehtut.

Crash: Do, Sa + So, 20.30 Uhr (Sa auch 23 Uhr); Scanners: 13. + 15.3., 20.30 Uhr; Videodrome: 15.3., 23 Uhr + 16.3., 20.30 Uhr; The Dead Zone: 20. + 22.3., 20.30 Uhr; Die Fliege: 22.3., 23 Uhr + 23.3., 20.30 Uhr; Die Unzertrennlichen: 27. + 29.3., 20.30 Uhr; Shivers: 29.3., 23 Uhr + 30.3., 20.30 Uhr, B-Movie