Was wann gewusst?

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Was wusste Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee wann über Bonizahlungen an den Bahnvorstand? Diese Frage steht im Zentrum der Debatte um seine politische Zukunft. Die Opposition – von Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn über die Linke Gesine Lötzch bis zur FDP – fordert seinen Rücktritt.

Der Ablauf der Ereignisse stellt sich wie folgt dar: Im Juni beschloss der Aufsichtsrat der Bahn AG, dass Mehdorn und Co Bonuszahlungen von bis zu 1,4 Millionen Euro je Vorstandsmitglied winken, wenn die Bahn sich an der Börse gut verkauft. Für das Verkehrsministerium war Staatssekretär Matthias von Randow an dieser Entscheidung beteiligt, der Tiefensee darüber allerdings erst Mitte September informierte. Zu diesem Zeitpunkt, so dessen Sprecher Rainer Lingenthal, sei die Entscheidung für die Boni aber schon rechtskräftig und nicht mehr korrigierbar gewesen. Schon damals habe die Entlassung von Randows festgestanden. Allerdings habe Tiefensee diese hinausgeschoben, um den für den 27. Oktober geplanten Börsengang nicht zu gefährden. Dieser wurde inzwischen wegen der Finanzkrise auf unbestimmte Zeit verschoben. Kürzlich wurden die Bonuszahlungen publik, drei Tage später entließ Tiefensee von Randow. So lautet die offizielle Version des Ministers.

Doch auch wenn es so war, ist zweierlei kritikwürdig: Wenn ein Minister über zentrale Entscheidungen nicht informiert wird, ist das auch sein Problem. Und: Noch am Mittwoch hieß es aus dem Ministerium, Tiefensee habe erst vor zwei Wochen – nicht nicht schon Mitte September – von den Boni erfahren. Dies war offenbar ein amateurhafter Versuch, Tiefensee aus der Schusslinie zu bekommen. Amateurhaft, weil Bahnchef Hartmut Mehdorn am 25. September im Stern bekundet hatte, dass es Börsenboni für den Bahnvorstand gibt. Ein Minister, den seinen Staatssekretär nicht informiert und der außerdem nicht weiß, was so in den Zeitungen steht?

Bisher hat Tiefensee alle kleine und großen Krisen überstanden. Beispielsweise als sich Bundespräsident Horst Köhler weigerte, das Gesetz über die Privatisierung der Flugsicherung zu unterzeichnen, weil es nicht verfassungskonform war. Gewackelt hat er schon oft, gefallen ist er nicht. Doch so ungeschickt wie in diesem Fall war er noch nie.

Er ist der politisch Verantwortliche – doch an dem Bonusbeschluss waren andere beteiligt. So sitzen im Aufsichtsrat der Bahn u. a. Walther Otremba, Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium, Axel Nawrath Staatssekretär im Finanzministerium. Beide ließen den Bonusbeschluss passieren.

SPD-Bahn Experte Hermann Scheer hält Tiefensee daher nicht für den Hauptverantwortlichen. „Er ist eher Opfer als Täter“, sagte Scheer der taz. Die Bahn AG habe sich über Jahre hinweg eigenmächtig über alle politischen Vorgaben hinweggesetzt. „Dass Tiefensee geht und Mehdorn bleibt, ist keine Lösung.“ Nun müsse die Zusammensetzung des Aufsichtsrats überprüft werden. Mehdorn sei endgültig „fällig“. Auch der Grüne Winni Hermann fordert den Rücktritt des Bahnchefs.

Tiefensee appellierte gestern erfolglos an den Bahnvorstand, freiwillig auf die Boni zu verzichten. Offenbar will er so den Börsengang retten, der kaum durchsetzbar ist, wenn Mehdorn und Co sich damit eine goldene Nase verdienen. FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich hält dies für den wahren Skandal. Die Boni, so Friedrich, sollen nur fallen, um Protest gegen den Ausverkauf der Bahn zu entschärfen. „Tiefensee ist bereit, Bahnaktien zum Schleuderpreis wegzugeben.“