Mit dem plauen Auge

Eintracht Braunschweig müht sich zu einem 1 : 1 gegen die zweite Mannschaft von Werder Bremen. Nicht genug für Fans, die noch die goldenen Zeiten miterlebt und die Rettung am Ende der Vorsaison schon wieder vergessen haben

Wegen Aktionen wie dieser nennen sie ihn den „King“ in Braunschweig: Nach 36 Minuten pflückt Kingsley Onuegbu an der Strafraumgrenze einen feinen Ball von Deniz Dogan einfach runter, hält ihn sicher, schüttelt vier, fünf Bremer Gegenspieler ab und trifft formvollendet zum 1  1-Ausgleich.

Der King ist ungefähr zwei Meter fünfzig groß, zieht den Ball magnetisch an und bewegt sich dabei wie Roger Milla bei der WM 1994. Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht hat ihn entdeckt. Daneben stehen sechs weitere U 23-Akteure auf dem Platz. Lieberknecht, vor zwei Jahren selbst noch Eintracht-Profi, führt „seine“ Jugendspieler an die Mannschaft heran – und lässt dafür auch mal das alternde rumänische Kraftwerk Valentin Năstase draußen.

Höhepunkte bis zu Onuegbus Treffer: In der sechsten Minute musste der Linienrichter unter lautem Gejohle zu seinem Kofferraum rennen, um die genormte FIFA-Linienrichterfahne zu holen. Und nach 21 Minuten missglückte Christian Lenze eine Abwehr derart, dass er damit den eigenen Keeper Jasmin Fejzić zum 0 : 1-Rückstand überwand. Aber ab Mitte der ersten Halbzeit macht die Eintracht ordentlich Dampf, spielt schnell und klug.

Nach zwei Niederlagen in der englischen Woche steht Braunschweig immer noch halbwegs sicher im Mittelfeld der neuen Dritten Liga, aber schon unter Druck. 12.000 Fans trotzen der Kälte, darunter in der VIP-Loge der traditionsbewusste Braunschweiger Land- und Meckeradel, heutzutage demütigend eingeklemmt zwischen den Erstligisten in Hannover und Wolfsburg. Das soll die Reserve einer Champions-League-Truppe sein? Nicht zu fassen. Pah, wir kennen noch die Eintracht-Meisterelf von 1967 persönlich, haben 1977 mit Jägermeister Paul Breitner aus Madrid geholt, leisten uns auch zum Zweitliga-Abstieg fünf Trainer in einer Saison!

In der zweiten Halbzeit geht ein wenig der Gesprächsstoff aus. Am Ende hat Braunschweig Glück, das Werder seine zwei, drei Chancen in den letzten Minuten nicht nutzen kann. Abpfiff, Pfeifkonzert. Lieberknecht lässt sich zu einem kurzen Wortgefecht mit Motivkrawattenträgern hinreißen – und erinnert daran, dass die Eintracht mit einem „ganz plauen Auge“ davon gekommen ist, am Ende der letzten Saison, als er von seinem erfahrenen Vorgänger Benno Möhlmann eine zerstrittene Mannschaft übernommen hatte. Sonst hieße der Gegner in der vierten Liga heute: Plauen.GERALD FRICKE