Jeder Ton in Anführungszeichen

Das Kopenhagener Festival Wundergrund gastiert in Berlin, um die Grenzen zwischen Popkultur und Avantgarde neu abzustecken. Aber der Club ist nicht das Kaffeehaus – da hilft nur ironische Distanz

Wer zur Umständlichkeit neigt, würde diese beiden Konzerte vielleicht so zusammenfassen: Wo Musik gerahmt und Teil eines theatralischen Zusammenhangs wird, da verliert sie an Gewicht und Bedeutung. Der Ton ist dann nicht mehr heilig. Musik wird zu einem Objekt, zu einem Gegenstand der Betrachtung. Und das steht ihr manchmal gar nicht so schlecht.

Man kann es natürlich auch anders ausdrücken. Wenn ein Huhn und ein Hase die Bühne betreten, um die Entdeckung der Musik mit großer Naivität durchzuspielen und in ulkiger Manier die Schönheit musikalischer Klischees durchzuexerzieren, dann ist es zunächst einmal nicht sinnvoll, über die ästhetischen Implikationen der Intervallstrukturen zu philosophieren. Wie ein Unfall entstehen auf der Bühne nach und nach animalische Grooves und Riffs. Und als dem Huhn eine Basssaite unters Griffbrett rutscht, das Instrument also beschädigt wird, setzt der singende Hase zu einem herrlich wehleidigen Cante jondo an. Das ist albern und ergreifend zugleich. Im Hasenkostüm steckt übrigens das Rechenzentrum-Mitglied Marc Weiser, das Huhn ist Ex-Senor-Coconut-Bassist August Engkilde.

Der Auftritt dieser beiden Heroen der randständigen Popkultur war Teil des dänischen Festivals Wundergrund. Seit 2006 leuchtet Wundergrund neue musikalischen Formen zwischen Avantgarde und Pop aus. Und da in diesem Jahr die Kooperation zwischen Kopenhagen und Berlinische als solche im Mittelpunkt des Festivals stand, hatte man auch in Berlin zwei Konzerte anberaumt und am Donnerstag- und am Freitagabend in den Sophiensælen eine Reihe deutsch-dänischer Gemeinschaftsarbeiten gezeigt.

Der erste Abend galt zwei ambitionierten Arbeiten, die das Sounddesign des Techno mit der avancierten Klanggebung der Avantgarde vereinen. Das dänische Ensemble Contemporánea hatte sich auf Kooperationen mit Frank Bretschneider und Rechenzentrum eingelassen. Richtig freuen konnte man sich über die Ergebnisse nicht. Obschon Avantgarde und Techno viel miteinander zu tun haben, was sowohl die filigranen Farbspektren als auch den hohen Abstraktionsgrad betrifft, bringt man die Ausläufer der bürgerlichen Kultur und die postexzessive Clubkultur nicht leicht zur Deckung. Das instrumentale Arrangement, das der dänische Komponist Ejnar Kanding für Bretschneiders Stück „Auxiliary Blue“ entwarf, wirkte wie aufgeklebt und konnte sich nicht in den Zwischenräumen der technoiden Tracks festsetzen. Rechenzentrum ließ die Instrumentalisten dann freier über ihren Klangfundus verfügen, was schließlich als gefällige Jamsession versandete. Im Kaffeehaus groovt es halt anders als im Club.

Zu erhabener Größe führte die Musik erst ein Quartett um den Pianisten Reinhold Friedl und den Bricoleur Sudden Infant. Hier wurde jedes Ereignis punktgenau in eine weitläufige und geräumige Geräuschlandschaft gesetzt, die sich erst nach und nach verdichtete und schließlich in die klaustrophobe Enge zerklüfteter Klangfurchen mündete. Nicht, dass hier etwas Einzigartiges oder Revolutionäres erfunden worden wäre, aber immerhin wurde die experimentelle Musik einmal in ihrer ganzen Schönheit ausgekostet.

Dass es dabei nicht blieb, dafür sorgte der abschließende Auftritt der Gruppe Horst Possling, die mit ihrer Performance „I like America!“ die Eitelkeiten und Idiotien des Musikbetriebs hinterfragten. Ihre Attacken galten dem multimedialen Spektakel, dem adornitischen Jargon der Musiktheorie und endeten in einer Stockhausen-Persiflage, die das berüchtigte Helikopter-Streichquartett von Laien imitieren ließ, während ein Spielzeughubschrauber durch Kunstnebelschwaden flog. Horst Possling präsentierten sich böse und bissig. Ihre Kritik saß, ihre Pointen trafen hingegen selten, sodass viele lustige Ideen wirkungslos verpufften. Auch Horst Possling behandelten die Musik mit der Distanz einer Requisite. Jeder Ton, jede Geste wurde gewissermaßen in Anführungszeichen gesetzt. Das war das Erfrischende daran. BJÖRN GOTTSTEIN