Das Schicksal der Albatrosse

Der Stolz der deutschen Marine, die „Gorch Fock“, liegt derzeit in der Elsflether Werft. Ihr fehlt etwas sehr wichtiges: ihre Galionsfigur. Den Albatros hat das Segelschiff bereits zum fünften Mal verloren. Jetzt kommt ein neuer aus Plastik

Irgendwo zwischen der alten und der neuen Welt treiben die hölzernen Reste des Albatros

VON SUSANNE GIEFFERS

Selbstvergessen, eins mit dem Schiff in seinem Rücken – als trüge es nicht ihn, sondern als wäre er es, der die 2.500 Tonnen hinter sich nach vorne zieht, dem Horizont entgegen. Das ist der Albatros, die Galionsfigur des Segelschulschiffes „Gorch Fock“. Die „Gorch Fock“ liegt gerade in der Elsflether Werft. Ohne Vogel vorneweg. Den nämlich hat das Meer behalten, bei einem Dezembersturm im Golf von Biskaya. Nur die Flügel kleben noch am Rumpf, Ornamente ohne Sinn.

Das Paradeschiff der deutschen Marine bekommt einen neuen Albatros. Es ist dann der fünfte. Und er wird aus Plastik sein. „Carbonfaser“, sagt Klaus Wiechmann, Geschäftsführer der Elsflether Werft, „dasselbe Material, aus dem auch die Lufträder von Windmühlen gefertigt werden.“ Oder Formel-1-Flitzer.

Es gibt kein anderes Schiff, das seine Galionsfiguren so oft verloren hat, wie die „Gorch Fock“. 1958 ist das von der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaute Schiff, das seinen Namen von dem niederdeutschen Schriftsteller Johann Kinau alias Gorch Fock bekam, vom Stapel gelaufen – mit dem ersten Albatros, einer vier Meter langen, vergoldeten Holzfigur.

Die hält wenige Jahre, reißt dann ab, es folgt der nächste Albatros, noch einmal aus Holz, dann der dritte, dieser bereits aus Kunststoff. „Nichts besonderes“ sei das, sagt „Gorch-Fock“-Kommandant Michael Brühn, viele Galionsfiguren seien aus Kunststoff. Viele Jahre führt dieser Albatros die 90-Meter-Bark. Dann beginnt die Zeit von Kommandant Michael Brühn.

Der 48-Jährige war U-Boot-Kommandant, seit August 2001 ist er auf der „Gorch Fock“ der erste Mann, „der Schiffschef“, sagt er. Im Dezember 2002 verliert die Gorch Fock ihren Albatros im Ärmelkanal.

Das Künstlerpaar Birgit und Claus Hartmann aus Harriersand baut die nächste, die vierte Figur: 800 Kilo Vogel aus Eschenholz, vergoldet. Der verschwindet ein Jahr später, am 20. Dezember vergangenen Jahres – vor der französischen Atlantikküste. Stürmisch sei es gewesen, sagt Michael Brühn, man sei unter Motor gelaufen, da habe der Vogel vorne dran besonders viel auszuhalten.

Der Kommandant redet nicht viel. Das übernehmen andere. „Seitdem Herr Brühn auf der Gorch Fock ist, fegt er die Figuren von Bord“, sagt Werftboss Wiechmann in Elsfleth – das klingt nicht böse, das klingt nach Respekt. „Der geht ran“, sagt Wiechmann, „der Albatros-Killer.“ Das aber sei, betont er, „bitte ausdrücklich freundlich gemeint.“

Es gibt Vermutungen, dass es die wenig stromlinienhafte Form des Albatros sei, die ihn so oft verschwinden lasse – „nö“, sagt dazu Kommandant Brühn, „doch, schon“, meint Werftchef Wiechmann. Aber beides spielt keine Rolle, der Albatros gehört zur „Gorch Fock“, „das wird auch so bleiben“, so Brühn. Doch die Albatrosse kosten. Der Neue kostet rund 100.000 Euro, plus Mehrwertsteuer, teilt das Koblenzer Bundesamt für Wehrtechnik mit. Holz sei gar nicht so viel teurer, erklärt Klaus Wiechmann von der Werft, aber das zähle nicht. Es geht ums Gewicht: 800 Kilo wog der Holzvogel, die künftige Figur aus Kunststoff nur die Hälfte.

Jetzt wartet die „Gorch Fock“ auf ihren neuen Formel-1-Albatros, am 17. Februar soll sie wieder komplett sein. Neben dem Galionsvogel wird das Schiff dann auch „eine neue Spüli“ haben, so Kommandant Brühn, eine neue Spülmaschine für das Geschirr der rund 200 Männer und Frauen starken Besatzung.

Auf die Frage, wann er mit der nächsten vogelfreien „Gorch Fock“ rechnet, stöhnt Klaus Wiechmann in Elsfleth: „Nee! Bitte nicht nochmal!“

Und derweil treiben irgendwo zwischen der alten und der neuen Welt die hölzernen Reste des Albatros in den Wellen – wer sie findet, der darf sie behalten.