Mandibelkrampf im Poesiealbum

Dänen und Deutsche sind wie Leberegel und Ameise. Ein biologisches Beziehungsdrama

Das Ziel des Dänen ist die Ausbeutung des dummen Deutschen

Aus dem Reich der Tiere kennen wir zahlreiche Beispiele für verblüffende Überlebensstrategien: So gibt es den Kleinen Leberegel oder Dicrocoelium dendriticum aus der Familie der Plattwürmer, der in den Gallengängen von Weidetieren zu Hause ist.

Um sich zu vermehren, schickt der Leberegel seine Eier auf eine ausgeklügelte Odyssee, deren unzweifelhafter Höhepunkt erreicht wird, wenn sich die Larven des Egels von Ameisen erst fressen lassen, um dann das Nervensystem der ahnungslosen Insekten anzufallen und eine Verhaltensänderung auszulösen: Abends, wenn es kühler wird, krabbelt die Ameise an einem Grashalm empor, beißt sich dort im so genannten Mandibelkrampf fest, wird von Weidetieren gefressen und transportiert die Larven so an den Ausgangspunkt ihrer Reise zurück, wo sie sich zu fertigen Leberegeln entwickeln. Der Kreislauf ist beendet.

Ähnlich verhält es sich mit Dänen und Deutschen. Mit Hilfe einiger Primärreize wie Ruhe, Erholung oder Satellitenfernsehen lockt der Däne den Deutschen über die Grenze und quartiert ihn in „Ferienhausgebiet“ genannten Sammellagern ein. Es folgt eine Phase subtiler Manipulationen: Durch Soft-Ice, Sauna, süßliche Würstchen und viel frische Luft wird der Verstand geschwächt und die Libido gestärkt. Innerhalb kürzester Zeit kommt es beim sorg- und ahnungslosen Deutschen zur sexuellen Vermehrung. Nach sieben bis 21 Tagen kehrt der Deutsche schließlich in sein heimatliches Nest zurück und bringt neun Monate später seine Nachkommen zur Welt.

Geschickt nutzt der Däne den reflexhaften Siedlungsdrang des Deutschen aus, indem er auf das zurückgreift, was er eh reichlich hat: Wasser und Strand. Dazu Hütten, in denen meist keine zwei Teile zusammenpassen. Für all das zahlt der Deutsche erstaunlich viel Geld. Dies ist das eigentliche Ziel des Dänen, und seine Rechnung geht auf. Mittlerweile basiert die dänische Wirtschaft zu 85 Prozent auf der Ausbeutung des dummen Deutschen.

Mitleid ist allerdings unangebracht, versuchte der Deutsche doch Mitte des vergangenen Jahrhunderts, das kleine Nachbarland zu okkupieren, und hinterließ überall entlang der Küste hässliche Betonbauten, die nur langsam im Sand versinken. Dafür erhält er jetzt die Quittung.

Im Laufe der Jahrzehnte hat der Däne im Bemühen um den Deutschen insbesondere sein Sprachsystem Schritt für Schritt perfektioniert. Als Paradebeispiel gilt gemeinhin die Entwicklung und Einführung des Umlautes „ø“, der erst im Jahr 1971 auf Drängen des dänischen Tourismusverbandes ins Alphabet aufgenommen wurde. Seine kindchenschemahafte Wirkung auf den Deutschen ist gut dokumentiert.

Nur einmal drohte Gefahr, als Mitte der Achtzigerjahre das natürliche Bernsteinvorkommen im Dänenland aufgebraucht war – abgeerntet von immer mehr süchtigen Deutschen. Seither laufen Freiwillige allmorgendlich die Strände ab und vergraben Kunstbernstein im Sand, damit die natürlichen Glückshormone der Deutschen ja nicht versiegen.

Die Natur ist grausam, aber nicht so grausam wie das, was der Deutsche tut, wenn er dunkel ahnt, dass etwas Schlimmes mit ihm geschieht. Wo andere Säuger sich von der Herde trennen und zum Sterben zurückziehen, schreibt – oder besser: stottert der Deutsche ein Gedicht zusammen, das er in eigens bereitgelegten dänischen Poesiealben hinterlässt: „Zum 10. Mal in Dänemark / im Geldbeutel kaum noch ’ne Mark / geht’s heim, die Ferien sind vorbei.“ So liest es sich, wenn aus Krankheit Dichtung wird.

Auffällig ist dabei die fröhliche Beschreibung der Symptome (zyklische Erkrankung, totale Ausnutzung et cetera), gepaart mit der Schicksalsergebenheit des Todgeweihten.

Nur bei Jungtieren findet sich gelegentlich aberrantes Verhalten: „Liebe Familie Nielsen!“ steht an einer Stelle in krakeliger Anfängerschrift, „uns hat es nicht gut gefallen!“ Weiter ist der kleine Quertreiber offenbar nicht gekommen, bricht der Satz doch ab, weil ihn das entsetzte Muttertier weggerissen hat. Nutzloses Aufbäumen eines noch nicht ganz gebrochenen Geistes.

Nur wenige Jahre später und dasselbe Individuum wird mit gleichaltrigen Artgenossen zum ersten Mal selbständig die Reise an den Ort seiner Zeugung antreten, und der Kreislauf beginnt von neuem. OLIVER SIMON