Zukunftsfähiger Wind

Rot-Grün geht nicht nur, es ist vielmehr notwendig. Die Grünen haben das Zeug für die Gestaltung eines zukunftsfähigen Bremens. Sie müssten sich nur trauen

von Adelheid Biesecker

Unter ÖkologInnen wird gerne dieser Witz erzählt: Treffen sich zwei Planeten im Weltall – der eine ist prall und rund, der andere löcherig und zerfasert. Letzterer heißt Erde. Fragt der erste die Erde: „Was ist denn mit Dir passiert? Bist Du krank?“ „Ja,“ seufzt die Erde, „ja, ich bin krank.“ „Welche Krankheit hast Du denn?“ „Ich habe Mensch.“ „Ach,“ lacht da der erste Planet, „da mach’ Dir mal nichts draus. Das hatte ich auch – das geht vorbei.“

Wollen wir das? Wollen wir die langfristigen Lebensmöglichkeiten von Menschen auf unserem Planeten untergraben? Wollen wir nicht-zukuftsfähig sein? Dann können wir so weitermachen wie bisher, dann können wir Bremen „sanieren“, wie es die große Koalition seit nunmehr fast zwei Legislaturperioden tut: die regionale Natur zerstören durch Zubetonieren (z. B. Uni-Wildnis, Arberger und Hemelinger Marsch), durch Verschmutzen über immer mehr Autoverkehr (z. B. Ausbau der A29 auf 6 Spuren), durch Destabilisieren über Eingriffe in stabile Ökosysteme (z. B. Hollerland); die Menschen dieser Stadt in ihren Lebensanliegen nicht ernst nehmen (z. B. Protest gegen UMTS-Masten), ihnen nicht zuhören, ihre selbst erarbeiteten Vorschläge nicht realisieren (z. B. lokale Agenda 21); auf ökonomische Großprojekte setzen, deren langfristiger Beitrag zur bremischen Wertschöpfung zweifelhaft ist, nicht zuletzt wegen der Wirkung auf die bestehende Struktur kleiner und mittlerer Unternehmen; und alles (auch Kultur, auch Wissenschaft) dem verengten ökonomischen Blick unterwerfen.

Seit acht Jahren wird das „Sanierung“ genannt. Sanierung bedeutet Heilung. Aber was wird geheilt? Die Ökonomie, deren Wunden aufgrund der weggebrochenen Branchen durch Neuansiedlung und Neugestaltung von Wirtschaftsfeldern allmählich vernarben? Die noch am ehesten – obwohl viele kleine Unternehmen (z. B. in der Innenstadt oder in Bremen-Vegesack) sowie sozial-ökonomische, auf Selbsthilfe basierende Strukturen auf der Strecke bleiben. Aber nicht geheilt wird die Erkrankung „des Sozialen“ in der Stadt, die mangelnde demokratische Kultur, die fehlende Teilhabe, Anerkennung und Ermöglichung tätiger BürgerInnenschaft. Und schon gar nicht geheilt wird der Planet Erde – die „Wunde Bremen“ ist offen und größer geworden in den vergangenen acht Jahren.

Und wenn wir das nicht wollen? Dann ist Rot-Grün nicht nur eine Möglichkeit oder eine Chance, sondern eine Pflicht, ein Muss. Dann kommt es darauf an, die politischen Entscheidungen in und für Bremen an der Vision der Zukunftsfähigkeit zu orientieren – und den Widerspruch zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem über neue Formen nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens aufzulösen: z. B. über bauliche Verdichtungen anstelle des Zubetonierens neuer Flächen, z. B. über den Ausbau des ÖPNV als Kern eines intelligenten Verkehrskonzeptes, z. B. über die bewusste Pflege der stadtnahen Ökosysteme; z. B. durch die Wiederbelebung der lokalen Agenda 21 und die Einrichtung von stadtteil- und branchenbezogenen Runden Tischen, deren Vorschläge zur zukunftsfähigen Gestaltung Bremens auch umgesetzt werden; z. B. durch eine Ansiedlungspolitik, die aufeinander bezogene Betriebe ansiedelt, so dass Stoffströme reduziert und gemeinsames Wissen produziert werden können; z. B. durch das Einbeziehen des vielfältigen Alltagswissens der bremischen Bevölkerung, insbesondere der VerbraucherInnen; zum Beispiel durch Entwicklung von Arbeitszeitmodellen in allen Bereichen der bremischen Verwaltung so, dass qualitativ geschützte Teilzeit für Männer und Frauen gleichermaßen möglich und ein Leben mit Kindern und Beruf attraktiv wird. Z.B., z.B., z.B.

Konzepte, Ideen, praktizierte gute Beispiele gibt es genug. Zukunftsfähiges Wirtschaften und entsprechendes politisches Handeln bedeuten, alle Aktivitäten der Menschen in dieser Stadt zusammenzubinden, sich entwickeln zu lassen, in Gestaltungskonzepte umzuwandeln. Eingebettet in eine die ganze Stadt ergreifende, alle Beteiligten integrierende Initiative für eine Kulturhauptstadt Bremen, die Kultur wirklich als Kultur und nicht bloß als „Standortfaktor“ begreift, die vor allem die breite Vielfalt der Sozio-Kultur als Stärke nutzt, kann so ein zukunftsfähiger Wind durch den Städtestaat wehen. So könnte es sein, dass der Planet Erde in einigen Jahren besser aussieht – noch nicht ganz gesund, denn dazu müssen auch andere beitragen, aber – nur noch mit einem Pflaster auf der „Wunde Bremen“.

Das klingt nach einer großen Aufgabe. Es ist aber eher die Frage einer Grundhaltung gegenüber den schon gelebten Aktivitäten in der Stadt wie auch die eines weiten Blicks auf ökonomische, wertschöpfende Prozesse und die darin ausgeübten Tätigkeiten. Und da gibt es – leider – doch Schwächen, auch bei den Grünen. Ihr Grundsatzprogramm zeugt noch von einem ängstlichen Festhalten an alten Sichtweisen. Es konzentriert sich auf Märkte als ökonomische Orte, übersieht den grundlegenden Beitrag der (meist weiblichen) versorgungs-ökonomischen Tätigkeiten für ein zukunftsfähiges Wirtschaften. Hier wird die Grundlage auch für Märkte gelegt, hier leben Familien, wachsen Kinder auf. Zukunftsfähigkeit setzt hier an.

Wie wäre es, wenn eine neue rot-grüne Regierung zunächst eine Umfrage in den Haushalten mit Kindern machen würde, um herauszufinden, was Familien wirklich brauchen? So könnte Zukunftsfähigkeit praktisch auf den Weg gebracht werden – gerade auch gestützt auf Frauen und Familien. Bremen würde so keine Stadt, die sich in ihrer Entwicklung auf Singles einrichtet, sondern eine, deren Leben voller Kinderstimmen wäre. Ja, Kinder gehören auch zur Zukunftsfähigkeit. Bremen als Lebensraum zu entwickeln – darum geht es.