„Ein gnadenloses Land“

Angst? Hat sie nicht. Anisha Schubert, 33, reist alleine durch Asien und hat ihr Glück gefunden. Noch lebt sie in Findorff, traut Entwicklungshelfern wenig zu und überlegt, wo Zuhause auch sein könnte

„Indien ist für Frauen ein gnadenloses Land“Sie könnte ja antreten, es besser zu machen

Anisha Schubert ist alleine unterwegs. Durch Indien, Nepal, Laos, Kambodscha. Immer alleine. Aber nie lange. „I need company“, sagt eine Frau im Ladies Compartement in einem Zug von Bombay nach Kalkutta und nimmt Anisha Schubert mit zu sich. Von da wird sie weitergereicht, von Bekannten zu Verwandten, durchs ganze Land.

Indien war immer ihr Traum, erzählt Anisha Schubert. So richtig kommt die Sache in Gang mit der Brieffreundin in Bombay. Mit 19 fährt sie hin. „Das war ein perfekter Einstand“, erinnert sich die 33-Jährige, „Indien ist für Frauen ein gnadenloses Land.“ Frauen seien Freiwild, zumal wenn sie wie viele Touristinnen nur mit Trägerhemdchen und Shorts durch die Straßen laufen. Anisha Schubert legt Wert darauf, „sich anzupassen“. Aber das helfe wenig. „Ich spreche etwas Hindi, trage das, was man da halt so trägt – und werde trotzdem angemacht.“

Drei Jahre später ist sie in dem großen Land ganz allein unterwegs – und die Begegnung mit der Frau im Zug ist nur eine von vielen. „Die können es kaum verstehen, dass wir auch mal alleine sein können“, beschreibt Anisha Schubert eine Kultur, in der Individualität nicht das höchste aller Dinge ist.

Nächstes Ziel ist Nepal. Auch ihr Berufsanerkennungsjahr für ihr Studium der Sozialpädagogik absolviert sie dort, in einem Gesundheitsprojekt in Bhaktapur, einem Ort nahe Kathmandu. „Eines der wenigen Projekte, die ich kenne, die total gut laufen, wo kein Geld verschwindet, keine One-man-show abläuft oder nur Hochglanzprospekte rauskommen, ohne dass was passiert.“ Die MitarbeiterInnen gehen in die Dörfer und unterstützen Eltern behinderter Kinder. Kinderlähmung und andere Krankheiten sind häufig.

Als sie zurückkommt nach Deutschland, „hatte ich erst mal überhaupt keine Orientierung.“ Anisha Schubert entscheidet sich für ein Aufbaustudium Entwicklungspolitik – und fährt wieder nach Nepal.

Jetzt arbeitet Anisha Schubert im Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung. „Ich halte wenig von normaler Entwicklungshilfe“, sagt sie, „das ist meist ABM für uns. Die Einheimischen wissen oft am besten selbst, wie sie sich helfen können.“ Sie erzählt von Entwicklungshelfern, „die aussahen wie Neckermann-Touristen“, die – zu Gast bei Freunden in Nepal – unbedingt der Köchin danken wollten und in die Küche marschierten, „wo doch in jedem Polyglott-Reiseführer steht, dass die nepalesische Küche heilig ist und man da nicht so einfach reinlatschen darf.“

Also keine Entwicklungshilfe. Obwohl – inzwischen überlegt sie. Nippt in ihrer Wohnung in Findorff am Chay, am Tee, der mit viel Milch, Gewürzen und Zucker so ganz anders schmeckt. Knabbert eine safrangelbe Mischung aus Cashew-Kernen, Linsen, Puffreis. Sie könnte ja antreten, es besser zu machen als die Neckermänner. Ihre Katze, Shivani, hockt vor ihr auf dem Boden und sieht sie an. Neben dem Sofa mit den bunten Tüchern liegen Bücher, Zeitschriften, obenauf „Global brutal“ von Michel Chossudovsky.

Inzwischen sind für Anisha Schubert Kambodscha und Laos dran. Wie immer alleine. Ohne Angst. „Klar gibt es gefährliche Situationen“, sagt sie, „aber bisher ist es immer gut ausgegangen.“ Sie erzählt, wie sie einmal von Indien nach Nepal unterwegs war, im Bus, nachts, allein, ihren Stopp verpasste und der Busfahrer sie in einer Stadt im kriminellsten Bundesstaat Indiens an irgendeiner Ecke rausließ. Wenig weiter standen zwei Polizisten. Die nahmen sich ihrer an, rissen von einer Häuserwand Kinoplakate und machten ihr ein Feuer. „Ihr größtes Problem war, dass sie keine Milch hatten, mit der sie Chay kochen könnten.“

Was sie reizt an der Ferne, das kann Anisha Schubert gar nicht genau benennen. „An Freundlichkeit sind es die reichsten Länder der Welt“, sagt sie, „kein Plastiklächeln, das ist echt.“ Vielleicht ist es das, vielleicht etwas anderes. „Ich weiß, da kann ich glücklich sein.“ sgi