Ein prunkvoller Literatursalon

Zwölf Autoren erhielten ein Stipendium vom Berliner Kultursenat. Bekannte Schriftstellerinnen wie Inka Parei wurden ebenso ausgezeichnet wie literarische Neuentdeckungen. Zum ersten Mal feierte man die Ehrung mit einer Matinee und viel Sekt

Gefördert werden auch Anfänger, ausschlaggebend ist die Qualität

VON SASKIA VOGEL

Stolz lächelnd, groß und blond sitzt Albrecht Selge auf dem Podium, er wurde mit einem Autorenstipendium geehrt. Er hat Glück gehabt, denn den Titel seines Romanmanuskripts „Rumgehen“, mit dem der 33-Jährige sich bewarb, fand die Jury „irgendwie zu brummelig“. Und dann die ersten Zeilen: Da schlurft irgendein literarischer Held zur Arbeit und schaut nach unten, langweilig. „Die Schlussszene aber war genial“, beschreibt Jury-Mitglied Ernest Wichner den ausschlaggebenden Eindruck für die positive Entscheidung, „wie der Protagonist Vermessungspunkte auf dem Boden betrachtet und gleichzeitig über die Koordinaten seines Bewusstseins reflektiert, fantastisch“. Wichner ist froh, dass die Jury Selges Manuskript in der Flut der eingereichten 450 Bewerbungen nicht leichtfertig überlesen hat, und Selge kann sich nun über 12.000 Euro freuen, mit denen das Halbjahres-Stipendium dotiert ist.

Insgesamt zwölf Autorinnen und Autoren wurden mit einem Arbeitsstipendium der Senatskanzlei für Kultur ausgezeichnet. Das geschieht seit über 30 Jahren so. Was dieses Jahr aber neu war: Am Sonntag kamen die Stipendiaten zu einer Matinee im Berliner Ensemble zusammen, tranken im prunkvollen Spiegelsaal viel Sekt und stellten ihre Manuskripte vor. Moderatorin Wiebke Porombka charakterisierte die Lesung am treffendsten: „Wir gehen gemeinsam durch ein großes Künstlerhaus mit vielen Ateliers und werfen hinter jede Tür einen Blick.“ Tatsächlich präsentierten die Autoren facettenreiche Arbeiten.

Die Berliner Autorenstipendien werden jährlich ausgeschrieben, die Schriftsteller müssen in der Hauptstadt leben, über die Vergabe entscheidet eine sechsköpfige Jury aus Literaturexperten. Das Förderungsprogramm gibt es schon seit 1965, allerdings wurde es in den ersten Jahren vor allem nach sozialen Kriterien vergeben, bis man sich 1981 dazu entschloss, innovative Schreibvorhaben zu ehren. Auch in anderen Großstädten wie München und Hamburg gibt es individuelle Autorenstipendien, jedoch mit einer anderen Ausrichtung bzw. einem anderen Bewerbungsverfahren. So werden in München ausdrücklich nur jüngere, noch nicht etablierte Autoren gefördert, und in Hamburg müssen die Bewerbungsmanuskripte anonym eingereicht werden, um eine Entscheidung nur nach qualitativen Kriterien zu gewährleisten. In Berlin können sowohl literarische Newcomer als auch etablierte Autoren kandidieren. Dem Bewerbungsexposé muss ein ausführlicher Lebenslauf beigelegt werden.

„Trotzdem erfolgt die Entscheidung auch in Berlin ausschließlich nach Richtlinien der Qualität“, betonte Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin. Die Jury sei mit Literaturkritikern verschiedener Altersklassen besetzt, um die Auswahl der Stipendiaten vielfältig zu gestalten. Dass kein spezieller Schreibstil favorisiert wurde, lässt sich gut am stilistischen Gegensatz zwischen Daniela Seel und Björn Kuhligk festmachen, die neben zehn Prosa-Autoren als einzige Lyriker ausgewählt wurden.

Während Seel ans Mikrofon trat und in assoziativer Sprache die Dämmerwelt im Narkosezustand bildlich werden ließ, reizte Kuhligk das Publikum mit provokanten Versen wie „Fernsehdeutschland, die Landschaftskrüppel“ zum Lachen. Kuhligk leitet die Lyrikwerkstatt open poems, Seel ist Geschäftsführerin ihres eigenen Kleinverlages kookbooks, beide sind in der Berliner Literaturszene also keine Unbekannten. Doch war das Podium noch weitaus prominenter besetzt, es lasen Schriftstellerpersönlichkeiten wie der Neu-Berliner László Krasznahorkai, einer der bekanntesten Autoren Ungarns, oder Inka Parei. Krasznahorkai vertrat am besten den Typus des altehrwürdigen Literaten, die grauen Haare halblang, murmelte er etwas von der „perfekten Schönheit der Welt“, gerne würde er einmal einen Roman ohne Menschen und nur mit Landschaften schreiben.

Parei ihrerseits wurde bereits 1999 mit „Die Schattenboxerin“ berühmt, erhielt 2003 den Bachmann-Preis und reflektiert nun in ihrem neuen Romanprojekt „Die Kältezentrale“ über das Berlin unmittelbar vor der Wende. Was Parei bereits erreicht hat, steht Anne Köhler womöglich noch bevor. Sie war das beste Beispiel dafür, dass tatsächlich die Qualität und nicht die bisherige Karriere der Autoren entscheidend für die Vergabe der Stipendien war. Die 30-Jährige hat erst vor wenigen Jahren ihr Studium des kreativen Schreibens in Leipzig abgeschlossen und bis auf Kurzgeschichten kaum etwas veröffentlicht. Müde, leicht blass und ganz in Schwarz gekleidet kam sie direkt von einer Rumänien-Reise zur Stipendiaten-Lesung und sagte: „Ich bin noch gar nicht richtig angekommen.“ Ihr in der Ich-Perspektive verfasstes Romanmanuskript „Landgewinnung“ handelt von einer jungen Frau, die sich in schmerzlicher Weise mit Identitätsgrenzen und der Revidierung fälschlicher Erinnerungsbilder auseinandersetzt. Vor allem die eindringliche Sprache der Autorin überzeugte die Jury. Barbara Kisseler, elegante Chefin der Berliner Senatskanzlei, gratulierte der Autorin am Rande der Veranstaltung persönlich. „Es wäre doch schlimm“, betonte Kisseler, „wenn junge Talente wie Anne Köhler nicht ungestört arbeiten könnten, weil sie durch unzählige Nebenjobs ihren Unterhalt sichern müssten.“

Neben den Autorenstipendien finanziert der Senat noch weitere Programme für Schriftsteller, etwa Aufenthalte im Literarischen Colloquium. Trotzdem müsse Berlin sich stärker als Literaturstadt wahrnehmen und die Autorenförderung ernst nehmen, sagte Kisseler, die Stipendiaten sollen „Ruhe und Zeit zum Schreiben“ haben. Anne Köhler jedenfalls wird beides gut gebrauchen können. Ihr Schreibprozess verläuft sehr individuell, mal sitzt sie stundenlang diszipliniert am Schreibtisch, mal fällt ihr mitten in der Nacht eine gute Szene ein. Und wenn sie ihren Roman fertig geschrieben hat, steht die Suche nach einem Verlag an. Aber auch bei diesem Schritt wird sie bedächtig vorgehen können, denn die Stipendien sind nicht mit Erfolgsvorgaben verknüpft, es wird nicht zwangsläufig erwartet, dass mittels der Förderung ein „Literaturprodukt“ entsteht, das sich möglichst rentabel verkaufen lässt.

Dass sie das Stipendium überhaupt erhalten hat, damit hätte sie kaum noch gerechnet, sagte Köhler und steckte sich müde und blass noch eine Zigarette an. „Ich bin es gewohnt, mich auf Förderungen zu bewerben und dann die Bewerbung erst mal zu vergessen.“ Dieses Mal hat sich das Warten für sie gelohnt.