Blendungszusammenhang

Das überwältigende Theater des Krieges: Die Kampfszenarien, die amerikanische Think-Tanks ausarbeiten, bedienen sich schwärmerischer Ästhetiken der Dominanz. „Shock and Awe“, Schock und Ehrfurcht, sollen die Angriffe auslösen

„Dem Feinde unseren Willen aufzudringen“ gilt nach Carl von Clausewitz als oberster Kriegszweck. Sein Standardwerk „Vom Kriege“, geschrieben im ersten Drittel des 19. Jahrhundert, ist immer wieder zum Altpapier geworfen – aber auch regelmäßig wieder hervorgezogen worden. In Zeiten der „neuen Kriege“ (Mary Kaldor), die angeblich keine Merkmale der Kriegsführung zwischen Staaten mehr aufweisen, schien Clausewitz nun endgültig ausgedient zu haben. Wenn da nicht die Bush-Administration und ihre geheimnisumwitterten Think-Tanks wären.

Nach dem 11. September 2001 gruben sie Pläne aus, die man während der langen Clinton-Jahre ausgebrütet hatte. Neokonservative Geostrategen wie Richard Perle, Paul Wolfowitz, Lewis Libby oder William Kristol plünderten bei Clausewitz, was sie gebrauchen konnten. Dazu mischten sie ein bisschen Carl Schmitt und Kalte-Kriegs-Paranoia. Das Schlachtfeld dieser Entwürfe umfasst neben dem politischen und militärischen „Theater des Krieges“ auch die Gebiete der „Ideen“ und der „Kulturen“. Die Szenarien sind gesättigt mit schwärmerischen Phänomenologien und Ästhetiken der Dominanz. In ganz anderer Bedeutung als bei Clausewitz ist die „Kriegskunst“ hier als Spektakel konzipiert, das die massenkulturelle Zerstreuung zu einem massenvernichtenden Angriff auf die Sinne ausweitet.

Clausewitz hatte vom „alles überwältigenden Element“, vom „großartigen Charakter“ des Krieges gesprochen und damit die Dimension des Erhabenen in die Kriegstheorie eingeführt. Die Pentagon-Vordenker operationalisieren das Erhabene: Der jeweilige Gegner soll mit psycho-visueller Gewalt in die Knie gezwungen werden. In den ersten 48 Stunden eines Angriffs auf Bagdad werden, so heißt es, 3.000 computergesteuerte Missiles abgefeuert, deren Detonationskraft alles bisher Dagewesene übersteigt, mit Ausnahme der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Das „alles überwältigende Element“ des Krieges wird zur Waffe im Krieg gemacht.

Die Losung dieser Strategie lautet „Shock and Awe“ (Schock und Ehrfurcht) und geht zurück auf eine Veröffentlichung gleichen Titels von 1996. Obwohl selbst Rezensenten in militärischen Fachorganen dieses Brevier zunächst als redundant und nutzlos kritisierten, wurde das Autorenteam um die Militärtheoretiker Harlan K. Ullman und James P. Wade zu einem maßgeblichen Stichwortgeber der aktuellen Pentagon-Führung.

Seine Theorie der rapid domination, der schnellen Beherrschung, richtete sich gegen die Theorie der overwhelming force, der überlegenen militärischen Stärke, die der Stabschef im ersten Golfkrieg und heutige US- Außenminister Colin Powell geprägt hatte. Die „schnelle Beherrschung“ wird danach weniger durch die Quantität der Waffen als durch die Qualität der „totalen Kontrolle“ gewährleistet. Diese Kontrolle betrifft nicht nur die militärische Situation des Gegners, sondern vor allem „seinen Willen, seine Wahrnehmung und seinen Verstand“.

Zu diesem Zweck müsse die übliche militärische „Kompetenz“ durch die Institutionalisierung von „Brillanz“ ersetzt werden. Nicht mehr die großen Apparate des Militärs, sondern die Ausnahmeleistungen überdurchschnittlich begabter Individuen (und zunehmend individuell agierender Streitkräfte) erzielen die gewünschten Wirkungen. Die „Brillanz“ der Einzelnen (gern auch: „jüngere Köpfe von der vordersten Front der Informationsrevolution“) mündet in Wirkungen, die so umwerfend sind, dass sie der Bevölkerung und der Regierung des Feindes die Fähigkeit rauben, eigenständig zu denken und zu handeln.

Von einer Reduktion der militärischen Mittel kann angesichts des Truppenaufmarsches am Golf natürlich keine Rede sein. Nach Lage der Dinge wird der „Bildersturm“, von dem medienkritische Analysen der neuen Kriege und des internationalen Terrorismus sprechen, für die irakische Bevölkerung eine entsetzliche Materialität jenseits jeder Metaphorik annehmen.

Dabei beziehen die US-Militärs die ästhetische Dimension des Unbegreiflich-Erhabenen bewusst ins strategische Kalkül mit ein. Schöngeistige Spekulationen über die Nachbarschaft von Terrorismus, Krieg und Kunst, die Stockhausen, Baudrillard und andere nach dem 11. September 2001 dem Giftschrank der Futuristen oder Ernst Jüngers entnahmen, werden zur Anregung für eine Special-Effects-Katastrophe. Zentrale Signaturen der Moderne, die Theorie des Traumas und die Ästhetik des Schocks, werden militärisch operabel gemacht. High-Tech-Ur- Bilder sollen die Sinne lähmen, darin sind sich islamistische Terroristen und Pentagon-Strategen einig. TOM HOLERT