„Wir machen Krieg nicht mit“

„Krieg ist noch vermeidbar. Wenn Hussein sich entleibt. Damit rechne ich nicht“

Interview BERND PICKERT
und ERIC CHAUVISTRÉ

taz: Herr Bahr, Sie haben nach wie vor Ihr Büro hier im SPD-Parteivorstand. Was sagen Sie denn zur Außenpolitik der SPD-geführten Regierung?

Egon Bahr: Ich bin ganz ungewöhnlich zufrieden.

Ach so? In den meisten Medien heißt es, Kanzler Schröder habe die Bundesrepublik in die Isolation geführt?

Die Medien plappern hysterisch alles nach, ohne richtig zu reflektieren, dass dieses Deutschland tatsächlich in seiner ganzen Nachkriegsgeschichte singulär ist. Wir hatten und haben bis heute genug von Soldaten und Machtgelüsten und allem, was damit zusammenhängt. Im Grundgesetz waren Streitkräfte ursprünglich überhaupt nicht vorgesehen. Als sie dann gebraucht wurden, haben wir das Grundgesetz ergänzt durch eine Wehrverfassung. Es war unstrittig, dass in Artikel 26 die Vorschrift hineinkam, dass die Teilnahme Deutschlands an einem Angriffskrieg oder an Vorbereitungen dazu verboten ist. Wenn wir so normal werden wollten wie jeder andere Staat, müssten wir die Verfassung ändern, und eine Zweidrittelmehrheit dafür gibt es nicht. Dieses Land kann stolz sein auf diese Singularität.

Für Sie ist das Schröder-Wort vom „deutschen Weg“ also kein Fauxpas, sondern eine Selbstverständlichkeit?

Seit er Kanzler geworden ist, hat Schröder eine außenpolitische Linie verfolgt. Er hat fast unbemerkt in seiner ersten Regierungserklärung 1998 von der Multipolarität gesprochen. Als Deutschland dann den Mut hatte – ein Gesellenstück! –, zur Beendigung des Jugoslawienkrieges einen eigenen Fünf-Punkte-Plan vorzulegen, da war das ein Zeichen dafür, dass Deutschland, nachdem es nun souverän geworden ist, durchaus eine interessante Rolle spielen kann, wenn es genügend Partner findet. Dass dies ein deutscher Weg ist – ja sein muss, was denn sonst! –, finde ich völlig richtig.

Mit allen Konsequenzen? Das schlechte deutsch-amerikanische Verhältnis ist doch nicht zu leugnen.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sind die USA die einzige Supermacht. Sie folgen ihren Interessen, mit dem Ergebnis, dass sie sich ein bisschen von Europa entfernt haben. Amerika hat nach dem 11. September völlig richtig definiert, dass der politische Faktor Moskau für die Allianz gegen den Terror wichtiger ist als der militärische Faktor der Nato. Und dass geostrategisch die Türkei wichtiger ist als Deutschland. Die Deutschen gucken ein bisschen weinerlich, dass uns die Amerikaner nicht mehr lieben. Die folgen einfach ihren Interessen – und wir bitte auch. In der Irakfrage hat Deutschland zum ersten Mal widersprochen. Da werden sich alle dran gewöhnen!

Muss man sich auch daran gewöhnen, dass christdemokratische Oppositionspolitiker nach Washington fahren, um ihren Dissenz zur Haltung der Bundesregierung klar zu machen?

Die sind altbacken. Die laufen noch einer Situation hinterher, die während des Ost-West-Konflikts da war. Aber es ist eine neue Welt! Auch wenn sie in Washington auf den Knien herumrutschen, werden sie die Amerikaner nicht dazu bewegen, ihre definierten Interessen zu vergessen.

Wie definieren Sie denn die Interessen der US-Außenpolitik?

Amerika fühlt sich sendungsbewusst als ein Land, das Gott besonders nahe steht – verpflichtet und dazu bestimmt, die Dominanz nach seine Vorstellungen so weit wie möglich zur Stabilität auf diesem Globus auszudehnen. Anders als alle anderen haben die USA im vergangenen Jahrhundert keinen Bruch in ihrer Geschichte erlebt. Warum also sollen sie die Werte, die sie so weit gebracht haben, auch nur diskutieren? Sie sind der Überzeugung: Was gut ist für Amerika, kann nicht schlecht sein für die Welt. Und ich setze bewusst hinzu: Ich halte Antiamerikanismus für dumm, vor allem auch, weil alle Argumente nichts an den Tatsachen ändern. Wir müssen uns mit der Realität vertraut machen und sehen, was dann an Raum für ein selbstbestimmtes Europa bleibt.

Was könnte das sein? Sie haben ja die neue Sicherheitsstrategie der USA, die auf so genannte Preemptive Strikes setzt, noch gar nicht erwähnt. Auch das ist eine Herausforderung für Europa und die Nato. Wie soll man sich verhalten?

Präsident Bush, der Vater, hatte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gesagt: Nur Amerika ist eine Macht, die in der Lage ist, die Welt in eine neue Ordnung zu führen. Ich war damals sehr dafür und bin es bis heute, weil Weltordnung heißt, dass sich alle Länder den Regeln dieser Ordnung unterwerfen müssen, also auch Amerika. Das geht nicht ohne eine entscheidende Rolle der Vereinten Nationen. Bush-Sohn hat einen Qualitätssprung gemacht. Er sagt, er bestimmt allein, wann er das Recht dazu hat, sich binden zu lassen oder Bindungen zu entfliehen, oder Krieg zu führen, gegen wen er will. Das gibt es weder in der Charta der Vereinten Nationen noch in ihrer Geschichte. Das ist ein qualitativer Unterschied. Wenn die Amerikaner es können, werden sie es machen. Ich sehe niemanden, der die Macht hätte, sie daran zu hindern.

Das ist alter Bahr-Realismus. Dennoch müssen die Verbündeten doch mit diesen USA irgendwie umgehen. Wie?

Wir machen nicht mit. Wo steht denn geschrieben, dass wir das mitmachen müssen? Wenn die Amerikaner das wollen, machen sie es allein.

Die US-Regierung droht aber den Verbündeten und der UNO: Macht mit oder ihr werdet irrelevant!

Warum schwätzen Sie den Unsinn der Opposition einfach nach?

Wir?

Ja, Sie. Mit so einer Frage. Angenommen – was ich mir nicht vorstellen kann – alle stimmen im Sicherheitsrat der Resolution für den Krieg zu: die Chinesen, die Russen, die Franzosen und die Deutschen. Glauben Sie, dass deshalb China und Russland an der Seite Amerikas im Golf marschieren? Die beteiligen sich nicht am Krieg. Warum muss sich denn Deutschland daran beteiligen? Werden deshalb Deutschland oder Russland oder China irrelevant? Das sind doch Kindermärchen, die man den Leuten auftischt, damit sie Angst kriegen.

Die US-Regierung betont immer mehr das Ziel der Demokratisierung des Nahen Ostens. Kommt man da nicht in den Verdacht, die eigene Außenpolitik wolle nicht Demokratie und Menschenrechte fördern? Ähnliche Vorwürfe gab es ja in den 70ern gegen Ihre Ostpolitik.

Die waren damals schon falsch. Die Amerikaner sind auch an diesem Punkt sehr ehrlich. Nach dem Wegfall des Reichs des Bösen brauchen sie für ihre Mission einen neuen Feind. Deshalb haben sie sich ein neues Ziel gesetzt, die Demokratisierung der Welt. Es wird sehr lange dauern, bis das erreichbar ist. Das bedeutet: Das Ziel der Demokratisierung deckt auch alles ab, was es ansonsten an Interessen amerikanischer Dominanz an bestimmten Gegenden, Rohstoffen und so weiter gibt.

Übertragen auf den Irak: Was sind denn dort die Interessen der USA?

Ich sehe als Hauptmotiv, dass dies der Anfang ist, um diese in der Tat brisante Region nach amerikanischen Vorstellungen zu stabilisieren und zu ordnen. Dass da noch Öl ist, ist ein höchst willkommenes Nebenprodukt.

Sie haben das Wort „Massenvernichtungswaffen“ gar nicht in den Mund genommen. Heißt das, darum geht es überhaupt nicht?

Ich weiß das ebensowenig wie Herr Blix. Ich bin sicher, dass es im Irak keine Atomwaffen gibt, schon seit 1991 nicht mehr. Bei chemischen und biologischen Waffen handelt es sich um Volumina, die so klein sind, dass die UN-Inspektoren auch noch zehn Jahre suchen können, ohne etwas zu finden. Da hilft meines Erachtens nur eins: ein Regime, das technisch so ausgestattet ist, dass dieses Land solche Waffen, falls es sie hat, nicht benutzen kann. Das ist die einzige verlässliche Garantie, die man erreichen kann – nach dem Krieg.

Ginge das vor dem Krieg nicht?

Macht doch niemand. Die Deutschen und Franzosen haben gemeinsam mit den Russen etwas Ähnliches vorgeschlagen, aber alle anderen haben abgewunken. Ich halte das auch in der laufenden Geschichte des Drucks auf Saddam Hussein für relativ unrealistisch. Aber wenn der Krieg vorbei ist, werden wir darauf zurückkommen müssen.

Sie halten Krieg für unausweichlich?

Der Krieg ist noch vermeidbar, wenn Saddam Hussein sich entleibt. Und damit rechne ich nicht. Im Übrigen sind die Amerikaner nach meiner seit Monaten unveränderten Auffassung entschlossen, den Krieg zu machen.

Wenn Sie jetzt im Kanzleramt säßen: Wen würden Sie anrufen, um den Krieg zu verhindern?

Keinen einzelnen. Wenn überhaupt, dann könnte die Komplettierung der Länder, die den Druck auf Saddam erhöhen wollen, um ihn zur Abrüstung zu bringen, die Sache so weit in die Länge ziehen, dass man im Sommer keinen Krieg mehr beginnen will. Und im Herbst sieht die Sache dann vielleicht anders aus. Aber ich glaube nicht, dass die Amerikaner sich so lange aufhalten lassen werden.

Auf der ganzen Welt und auch im Sicherheitsrat scheint jeder das Gefühl zu haben, dass es eigentlich nicht um Massenvernichtungswaffen geht, sondern um US-amerikanische Interessen

Ich sag Ihnen mal ein Geheimnis.

Es war immer so?

Nein. Das ist das Zeichen von Geschichte. Die Tatsache, dass innerhalb kurzer Zeit von der ungeteilten Solidarität der Welt mit Amerika nach dem 11. September die heutige Situation entstanden ist, ist doch ein Zeichen dafür, dass Amerika sich und seine Position verändert hat. Die Folge ist die partielle, zeitweilige Schwächung der UNO und der Nato, die Spaltung Europas und die Vorbehalte anderer großer Länder gegenüber Amerika. Wir werden sehen, ob und wie sich das reparieren lässt.

Sie haben gesagt, Sie seien mit Ihrer Regierung zufrieden wie selten. Was könnte Sie wieder unzufrieden machen?

Wenn die wackelten.