Der Tod ist schöner

Die Pfoten einer tanzenden Katze formen Buchstaben, Hühnerleiber stapeln sich im Dreierrhythmus: Iris Schieferstein näht Skulpturen aus Tierkadavern. Dabei schafft sie eine Aura aus Harmonie und Leichtigkeit, wissenschaftlicher Kühle und Horror

von RICHARD RABENSAAT

„Ah, die Kleene mit den toten Tieren suchen sie.“ Der Automechaniker auf dem Werkstatthof kennt den Weg zu ihrem Atelier und weiß, womit Iris Schieferstein hantiert: mit Kadavern. Gut gelaunt hockt die Künsterlin im süßlich nach Formalin und Verwesung duftenden Werkstattraum, hat grüne Gummihandschuhe übergestreift und zieht mit dem bloßen Auge kaum sichtbare Fäden und durch bleiche Tierhäute: „Das Hirn ist noch drin“ in der toten Katze. Ansonsten ist der Kadaver gründlich ausgeräumt, der Körper enthaart. Es ginge auch anders, aber: „Nacktkatzen sind schweineteuer“. Also muss das Tier gezupft werden, wegen der glatten Haut. In bleichem Weiß strahlend tanzt die Katze dann eine absurde Pantomime im gläsernen Becken, lächelt verschmitzt. Ihre Pfoten formen das „E“ des Schriftzuges „Elvis“, den Schieferstein bei der Bunkeraussstellung „Inside“ zeigte.

Es ist nicht die erste Katze, die der Stichelnadel zum Opfer fällt. Schon in ihrer Installation „Life can be so nice“ vernähte sie eines der Schmusetiere. Die einzelnen Buchstaben des Schriftzuges entstanden aus diversen animalischen Überresten. Ein Aal, ein Reh, eine Ente und andere Viechereien mussten herhalten für das „schöne Leben“ – so der arrangierte Spruch –, das im gläsernen Formalin-Behälter schwebte. Die „modernen Wolpertinger“, auch ein Ausstellungstitel, sind nicht auf den ersten Blick als Hieroglyphen erkennbar. Erst bei näherer Betrachtung offenbart sich der semantische Zusammenhang.

Bei ihrer gegenwärtigen Ausstellung in der Neuen Aktionsgalerei gibt es allerdings keine Schriftzüge, sondern Köpfe zu sehen. Auch die sind wieder zusammengenäht aus allerlei totem Getier. Sorgfältig ausbalanciert schwimmen die Körper in Formalin, scheinen im hellen Scheinwerferlich zum Leben zu erwachen und affektiert zu lächeln. Entfernt erinnern ihre mutierten Gesichtszüge an Clive Barkers Horror-Schocker „Cabale – Brut der Nacht“. Der Witz der Arbeiten Schiefersteins offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Zu schön sind die Präparate zusammengefügt, zu sorgfältig die Präsentation. Da liegt der Verdacht nahe, es handele sich um Kunsthandwerk. Zudem verunsichert das Material, mit dem die Künstlerin hantiert, nicht nur den zufälligen Betrachter.

„Die spinnt“, war der knappe Kommentar der Prüfer, als Schieferstein auch in der Diplomarbeit als Bildhauerin mit Kadavern arbeiten wollte. Auch ansonsten waren die Professoren nicht begeistert, als sie realisierten, dass Schieferstein ihre Plastiken nicht einfach zusammennäht, sondern eine ästhetische Gesamtvorstellung hat, mit der sie nicht hinterm Berg hält. Die seltsame Aura der eklektisch zusammengeschusterten Tierkörper entspringt einem gründlich austarierten Arrangement. Ähnlich den Fabelwesen Giuseppe Arcimboldos fügen sich die einzelnen Elemente wieder zu einem merkwürdig harmonischen Ganzen. Hierzu trägt wesentlich die wissenschaftlich kühle Inszenierung bei. Das Arrangement in Wortbildern beschert den Arbeiten auf semantischem Weg eine unvermutete Leichtigkeit, die auch den gezeigten Köpfen eigen ist.

So hat die Künsterin einen fast klassischen Ansatz gefunden und vertritt den auch offensiv, was gelegentlich Streit provoziert: „Als die Professoren meine ersten Präparate sahen, wären die fast ohnmächtig geworden.“ Das war allerdings kein Drama, da Schieferstein ohnhin einen wesentlichen Teil ihrer Zeit mit der Materialsuche außerhalb der Akademie verbrachte. Eine zunächst begonnene Suche im Freundeskreis war unergiebig, was nicht weiter verwundert. Wer sieht seinen dahingeschiedenen Hausgenossen schon gerne im Konservierungsbad schwimmen? So versuchte es die Hobbychirurgin bei Schlachthöfen. Aber die Metzger mutmaßten, dass die Bildhauerin von der Aufsichtsbehörde käme. Mittlerweile versorgt die Berliner Präparationswerkstatt, die zumeist für Filmprojekte arbeitet, die Künstlerin mit Nachschub. Ungewöhnliches aber beschafft sich Schieferstein vor Ort. Von einem Spanienurlaub schmuggelte sie einen Hai in der Kühltasche nach Berlin.

Tatsächlich waren Fische auch ihre ersten Exhumierungsopfer. Auf dem Küchentisch betrachtete sie die glitschigen Leiber, fotografierte sie dann und zum Schluss wurden sie vernäht. Damit hatte die Bildhauerin zu ihrem Material gefunden. Die Idee kam aber auch zur rechten Zeit: Mitte der 90er-Jahre experimentierten auch andere Künstler mit spektakulären Variationen des frankensteinschen Motives. 1994 zeigte Schieferstein ihre ersten Arbeiten in der Berliner Aktionsgalerie. Kahle Hühnerleiber mit grotesken Klauen stapelten sich im Dreierrhythmus, das erregte Aufsehen. Dass es dennoch mehrere Jahre dauerte, bis sie jetzt wieder mit ihren Exponaten bei Ausstellungen unter anderem in Hongkong und Budapest vertreten ist, hat nicht zuletzt mit den außerkünstlerischen Belastungen zu tun. Als zweifache Mutter bleibt Schieferstein nicht allzu viel Zeit für ihre Kadaver.

Bis 27. April, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 11–19 Uhr, Neue Aktionsgalerie, Auguststraße 20, Mitte