Großer Ärger, kleine Wirkung

Die rot-grüne Bundesregierung will das Ladenschlussgesetz liberalisieren. Die Liberalen wollen es ganz abschaffen. Die Union will ein Ladenöffnungsgesetz. Ver.di will gar nichts von alldem. Gestern hörte der Bundestag Verbände und Experten an

von MATTHIAS BRAUN

Vierzig lange Minuten dauerte es. Vierzig Minuten, in denen die geladenen Fachleute und Verbandsvertreter im Bundestag viel von ihrem Wissen über Einkaufspassagen und Kaufhäuser preisgaben. Dann erteilte Heribert Jöris der gestrigen Expertenanhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zum Thema „Liberalisierung des Ladenschlusses“ die nationale Weihe. Es gehe um den „Standort Deutschland“, sagte der Vertreter vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels, der offenbar gerne spät einkauft. Der großen Metapher bedurfte es, weil inzwischen kaum ein Experte mehr glaubt, liberalere Öffnungszeiten retteten den Einzelhandel.

Trotzdem hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine weitere Liberalisierung vorsieht. Bundeseinheitlich sollen die Geschäfte werktags von sechs bis 20 Uhr öffnen dürfen. Auch am Samstag. Nach rot-grünem Willen soll die Regelung ab Juni gelten. Die FDP kontert mit dem Vorschlag, das Ladenschlussgesetz ganz abzuschaffen. Ziel der Unionsparteien ist, das Gesetz, das eigentlich Verkäufer vor zu langen Arbeitszeiten schützen soll, in ein Ladenöffnungsgesetz umzufunktionieren. Von Montag bis Freitag sollen die Einzelhändler selbst entscheiden dürfen, wann sie ihre Läden öffnen. Nur der Sonntag ist der CDU/CSU weiterhin heilig.

Warum die Bundesregierung mit ihrer Gesetzesinitiative den Zorn der Gewerkschaften gerade jetzt auf sich zieht, ist nicht recht klar. Denn ob längere Öffnungszeiten Arbeitsplätze schaffen, ist ungewiss. „Die Wirkungsintensität einer Verlängerung der abendlichen Öffnungszeiten wird im Allgemeinen überschätzt“, urteilt das Münchener Ifo-Institut. Ironie der Geschichte: Mit ebendiesem Argument, zugearbeitet vom gleichen Institut, hatten die Sozialdemokraten 1996 gegen das Ladenschlussgesetz der Regierung Kohl argumentiert. Deshalb argumentiert Rot-Grün mit dem diffusen Begriff eines „veränderten Käuferverhaltens“, das auch die Arbeitgeberseite auf der gestrigen Anhörung nicht genauer definieren konnte. „Ich kann Ihnen das nicht im Einzelnen vorrechnen“, sagte Johannes Hellwege gestern, der die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel und Großbetriebe vertrat.

Da die Frage nach den Ladenöffnungszeiten und mehr Beschäftigung damit sachlich entschieden ist, konzentrierten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber während der Anhörung auf ideologische Argumentationen. „Wenn einer eine gute Geschäftsidee hat, soll er sie auch frei umsetzen können“, sagte Jöris.

Und die Ver.di-Gewerkschafterin Franziska Wiethold konterte die Bemerkung, im Gaststättengewerbe seien die Arbeitszeiten beispielhaft liberal, mit den Worten: „Der Hinweis, dass es in anderen Branchen noch schlechter bestellt ist, kann kein Argument sein.“ Genauso denkt die Basis. Karla Schuchardt, Verkäuferin in Kassel, war für die gestrige Anhörung extra nach Berlin gereist. Ihre Meinung zum Ladenschlussgesetz: „Frechheit“.