Die Maschine der Freiheit

Heute vor 20 Jahren kam der erste Macintosh-Computer der Firma Apple auf den Markt. Er war kein bloßes Arbeitsgerät für das Büro mehr, er wollte ein Werkzeug der guten Laune und der persönlichen Kreativität sein. Bis heute ist er ein Symbol des gehobenen Lebensstils geblieben

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Armeen von kahl geschorenen Gestalten in Gefängniskleidung marschieren einen Gang entlang zu einem riesigen Auditorium. Mit ihrem schleppendem Gang und ihren leeren Blicken erinnern sie an die Arbeiterkolonnen, die sich durch Fritz Langs „Metropolis“ schleppen. Wärter mit glänzenden Helmen überwachen ihre Schritte. Von einem riesigen Monitor herab brüllt ein fanatisierter Großer Bruder auf sie ein: „Jeder von euch ist eine Zelle in dem riesigen Körper unseres Staates. Heute hat dieser riesige Körper sich von furchtbaren Parasiten gesäubert … Heute feiern wir den ersten Jahrestag der Informationsreinigungsoffensive …“

Eine erbarmungslose Maschine herrscht in dieser Welt, und es scheint für ihre Sklaven keine Hoffnung zu geben. Doch da tauchte eine junge Frau mit roten Shorts und weißem T-Shirt auf, die durch die Menge läuft. Auf ihrer Schulter trägt sie einen Vorschlaghammer. Sie rennt auf den Monitor zu, holt aus, und zerschlägt ihn mit einem einzigen, wohlgezielten Schlag. Das Bild des krakeelenden Großen Bruders verglüht in weißem Rauschen. Und dann werden die Worte eingeblendet: „Am 24. Januar wird Apple Computer den Macintosh auf den Markt bringen. Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie ‚1984‘ sein wird.“

34 Millionen Amerikaner, die eigentlich vor der Glotze saßen, um sich das Football-Spektakel der Super-Bowl anzusehen, haben diesen spektakulären Spot gesehen. Er ist nur dieses einzige Mal gezeigt worden, ist aber bis bis heute einer der imposantesten und berühmtesten Werbefilme aller Zeiten: Er kostete ein halbe Million Dollar, und der Regisseur war Ridley Scott. Er kombinierte den düsteren Cyberpunk-Look seines Kultfilms „Blade Runner“ mit einem gut verständlichen Plot der Gegenwart: Der Feind, der frontal angegriffen wird, heißt IBM. Die Armeen der dumpfen Sklaven waren leicht als die Büroangestellten zu entziffern, die vor den Produkten dieser Firma vor sich hin vegetierten. Der Name sagte eigentlich schon alles: „International Business Machines“. Ein Arbeitsgerät für das Büro, nichts weiter war der Computer, für den IBM damals fast ein Monopol auf dem amerikanischen Markt hatte.

Der Macintosh dagegen, die wohlschmeckende Apfelsorte, war in Scotts Film nicht einmal zu sehen. Er war von Anfang an als Mythos inszeniert, als immaterielles Versprechen auf eine ganz andere Art von Lebensstil. Er kam als Frau und Retterin in diese Welt, der freie, kreative Menschen davor bewahrte, abgestumpfte Untertanen eines monolithischen Apparats zu sein, der dabei war, seine Herrschaft mit seinen Maschinen in den letzten Winkel der Gesellschaft auszudehnen.

Computer waren sie freilich beide, der PC von IBM und der Macintosh von Apple. Meisterhaft hatte Ridley Scott die keineswegs grundlose Angst vor dieser schwer verständlichen Maschine mit einer Freiheitshoffnung verbunden.

Die Botschaft wirkt bis heute fort. Der „Mac“, wie ihn seine Verehrer schon sehr bald liebevoll nannten, ist immer noch, 20 Jahre nach seinem ersten Auftritt, nicht nur ein Computer, sondern ein Symbol für gehobene Lebensart, für Stil und einen Geschmack, der sich deutlich vom Durchschnitt abhebt.

Künstler, Musiker, Designer und überhaupt alle, die Wert auf einen sichtbaren Ausdruck ihrer Kreativität legen, glauben noch immer, ohne ihn nicht auszukommen. Zwar leistet der Mac grundsätzlich nicht mehr als jeder moderne PC aus dem Kaufhaus, aber er sieht besser aus, ist sorgfältiger verarbeit – und ist teurer.

Seine Liebhaber zahlen den Preis gern. Es ist Preis der Freiheit, die Ridley Scotts Film versprach. Und es ist der Preis dafür, dass man von der Technik dieser Maschine nichts verstehen muss, um trotzdem seinen Spaß damit zu haben.

Dieser Unterschied vor allem war vor 20 Jahren offensichtlich: Der „Macintosh I“ war der erste Computer, der nicht für Programmierer, sondern für ganz normale Leute entwickelt worden war. Man musste nicht mehr Befehle eintippen, die an sich schon eine Zumutung an die menschliche Intelligenz waren, um dann zu hoffen, dass man sich nicht verschrieben hatte und der Rechner ungefähr das tat, was er tun sollte.

Man klickte stattdessen mit einem Gerät, das sich sinnfälligerweise „Maus“ nannte, auf lustige kleine Bildchen. Der Italiener Umberto Eco brachte den Unterschied auf die überzeugende Formel, der PC von IBM sei „protestantisch“, der Macintosh von Apple dagegen „katholisch“.

Zu Recht heißen die anklickbaren Bildchen noch heute „Icons“. Es sind wirklich die Ikonen des Computerzeitalters. Allerdings sind sie nicht bei Apple erfunden worden. Schon Ende der 60er-Jahre hatte sie Douglas Engelbart auf einer berühmt gewordenen Konferenz von Informatikern vorgestellt. Aber sein „WIMP“ (für „Windows, Icons, Mouse, Pulldown“) genanntes Modell blieb lange Zeit nur ein avantgardistisches Experiment. IBM interessierte sich dafür nicht im Geringsten. Erst der Mac hat es in praktische Anwendungen übersetzt. Über seine Entstehungsgeschichte sind mehrere Bücher geschrieben worden, die sich lesen wie Abenteuerromane: Eine verschworene Gruppe von Fanatikern, die sich als Künstler betrachten, laboriert an dem wenig beachteten Projekt herum, während der Großteil der Anstrengungen des Unternehmens Apple auf einem erfolglosen und heute vergessenen Computer namens Lisa konzentriert waren. Apple-Gründer Steve Jobs wollte das Projekt sogar mehrmals einstellen. Erst als er überraschend seinen Job in dem Lisa-Projekt verlor und sich im Macintosh-Team wiederfand, riss er sich das Projekt unter den Nagel, verekelte den eigentlichen Kopf der Gruppe, Jef Raskin, und gab den Mac später als seine Erfindung aus.

Die nach Raskin vielleicht wichtigste Person in dem Macintosh-Entwicklerteam war die Grafikerin Susan Kare, die den Bedienungselementen des Rechners ihre unverwechselbare Form gab. Von ihr stammen die rotierenden Uhrzeiger, die einem das Warten verkürzen sollen, die Bomben und der kleine Mülleimer am Rand des Monitors.

Mit all diesen spielerischen, ganz und gar nicht zur Welt der Büros und Großkonzerne passenden Elementen war aus Engelbarts Konzept ein unmittelbar einleuchtendes Werkzeug entstanden. Es stellte leicht zu bedienende Grafik- und Schreibprogramme zur Verfügung und sorgte selbst dann noch für Unterhaltung, wenn es gar nicht gebraucht wurde: Dann ruckelten fliegende Toaster über den Bildschirm. Oder bunte Fische gründelten im virtuellen Aquarium. Bald konnte der Mac auch Musik und Filme spielen, er lernte sogar ein wenig sprechen.

Was IBM für seinen PC (zunächst unter der Leitung eines gewissen William Gates) anzubieten hatte, waren dagegen kaum mehr als Bedienungsanleitungen für primitive Computerprogramme. Ein stupides „C:>“ auf schwarzem Hintergrund wartete auf ebenso stupide Kommandos. Meistens stürzte das Programm kurz danach ab. Der Mac dagegen verzieh fast alle Fehler, die man ohnehin nur machen konnte, wenn man sich systemwidrig verhielt und irgendwelche Sonderbefehle eingab.

Erst zehn Jahre später gelang es jenem inzwischen mit seiner Firma „Microsoft“ selbstständig operierenden Gates und seinem „Windows 95“ mit dem Mac gleichzuziehen. Dass fast alles an Microsofts Windows an die grafischen Errungenschaften des ersten Mac erinnert, ist kein Zufall. Denn Susan Kare hat auch daran mitgearbeitet. Millionen kennen daher den Stil dieser Grafikerin in der einen oder anderen Version, ohne auch nur je ihren Namen gehört zu haben.

Die aggressiven Vermarktungsmethoden von Microsoft sind bekannt genug. Ihr erstes Opfer war der Mac. Die zuvor trotz des relativ hohen Preises stetig wachsenden Verkaufszahlen fielen in den Keller. Dort blieben sie bis heute. Der Mac besetzt, wenn auch inzwischen wieder stabil, nur eine Marktnische.

Innovativ war die Firma Apple dennoch auch weiterhin. Ihre Entwicklungen, etwa die vereinfachten Anschlüsse für Peripheriegeräte wie „USB“ oder „Firewire“ sind zwar Industriestandards geworden, aber sie haben die Übermacht des PC nie wieder in Frage stellen können.

Und der alte Glaubensstreit zwischen den stolzen Usern des Mac und den unglücklichen Besitzern eines ordinären PC ist inzwischen abgelöst worden durch den nicht weniger erbitterten Kampf zwischen den Liebhabern des Mehrheitssystems Windows und den Verfechtern des alternativen Modells der Freien Software von Linux.

Eine Variante dieses freien Betriebssystems bildet übrigens den Kern der Apple-Software von heute. Echte Mac-Liebhaber interessieren sich dafür nur am Rande. Sie wollen noch immer nicht wissen, wie der Computer im Inneren aussieht, den sie so sehr lieben. Und ihnen hat die Firma Apple immer noch einiges zu bieten. Was keinen anderen Medienunternehmen bisher gelungen ist, hat sie auf Anhieb geschafft: Sie hat unter dem Namen „iTune“ einen zwar kostenpflichtigen, aber dennoch über alle Erwartungen hinaus erfolgreichen Online-Musikvertrieb eingerichtet. Er macht heute sogar den kostenlosen Musiktauschbörsen Konkurrenz, und mit seiner Hilfe lässt sich nun sogar das Gerät in großem Stil verkaufen, das die Songs im Apple-Format unterwegs und beim standesgemäßen Joggen abspielen kann. Es heißt „iPod“, ist eigentlich auch nur ein Walkmann für komprimierte Audiodaten wie viele andere, ist aber gerade dabei, zum Statussymbol zu werden wie einst der Mac.