Raus aus den Schützengräben gegen Brüssel

Polens Intellektuelle fordern eine Änderung der EU-Politik. Den Politikern dämmert es, dass die Blockade nur schadet

WARSCHAU taz ■ Nach dem Fiasko des Brüsseler Verfassungsgipfels findet Polen keine Ruhe mehr. Der Imageschaden, den sich Ministerpräsident Leszek Miller mit seiner kompromisslosen Haltung „Nizza oder der Tod“ eingehandelt hat, schränkt die außenpolitische Handlungsfähigkeit immer stärker ein. Es gibt kaum noch Bündnispartner. Der Vysherad-Bund mit Tschechien, Ungarn und der Slowakei hat sich weitgehend aufgelöst, die Republiken Litauen, Lettland, Estland wollen sich auf keinen Fall von Polen als „Wortführer der kleinen Beitrittsstaaten“ vertreten lassen, und auch die bisherigen Partner im Weimarer Dreieck, Deutschland und Frankreich, denken inzwischen offen über ein Kerneuropa ohne Polen nach.

In Warschau dämmert es den Politikern, dass sie sich mit ihrer Blockadehaltung in der EU an die Peripherie der Weltpolitik katapultiert haben. Auf der gestern und heute stattfindenden EU-Außenministerkonferenz in Brüssel versucht Wlodzimierz Cimoszewicz, nun wieder einen Fuß auf den Boden zu bekommen.

Denn auch die enge Bindung Polens an die USA hat politisch weniger gebracht als erhofft. Durch den Irakkrieg an der Seite der Amerikaner ist das Ansehen Polens in der EU kaum gestiegen. Die Vermittlerrolle zwischen dem „alten Europa“ und den USA platzte wie eine Seifenblase, als niemand in Westeuropa auch nur am Rande über die Global-Player-Ambitionen Polens reden wollte.

Selbst bei den USA ist Polen nicht so weit in der Gunst gestiegen, dass sie das Visaverfahren und die erniedrigenden Grenzkontrollen für Polen abgeschafft hätten. Zwar hatte Präsident George W. Bush dem „besten Freund Amerikas in Europa“ immer wieder lukrative Aufträge im Irak in Aussicht gestellt, doch den Worten folgten keine Taten. Die Verlegung amerikanischer Militärbasen von Deutschland nach Polen lässt auf sich warten, und auch die amerikanischen Milliardeninvestitionen, die Bush den Polen im Gegenzug für den Kauf von knapp 50 F-16-Bombern versprochen hatte, wollen nicht so recht fließen.

Selbst eingeschworene Amerikafreunde sind nun verärgert. Vor der Abreise Präsident Aleksander Kwásniewskis in die USA forderten sie ihn zu einer Politik auf, wie sie bislang nur Brüssel vorbehalten war: „Man muss mit Washington hart verhandeln!“

Doch die Politik „aus den Schützengräben“ heraus, wie Janusz Reiter, der Direktor des Instituts für Internationale Politik, in der Rzeczpospolita schrieb, hat Polen bislang nur eines beschert: „ein diplomatisches Fiasko“. Auf dem Weg in die Europäische Union habe Polen die Achtung für seine eigene Geschichte verloren. Die Erinnerung an die Freiheitsbewegung Solidarność, der auch Europa viel verdanke, schwinde mehr und mehr. Bis heute gebe es keine Geschichtspolitik, die Polen im Innern wie nach außen als europäisches Land darstelle, mithin als einen Teil Europas. Die Folgen seien fatal: Polen baue seine neue Identität in Abgrenzung zur EU auf, in Gegnerschaft zu Deutschland und Frankreich.

Obwohl immer mehr Intellektuelle in Polen vor der nationalen „Falle“, dem „europäischen Fehlstart“ und sogar vor dem „Krieg“ warnen und inzwischen auch die früheren Außenminister Bronislaw Geremek, Dariusz Rosati und Andrzej Olechowski eindringlich zu einem Kurswechsel aufrufen, stehen die Chancen für eine neue polnische EU-Politik nicht gut. Zwar ziehen Staatspräsident Kwásniewski und Außenminister Cimoszewicz inzwischen an einem Strang. Im Februar wollen sie eine Grundsatzdebatte über Fragen starten wie „Wer sind wir? Was wollen wir? Wo stehen wir in den Welt?“, Doch an Cimoszewicz' Floskel „Wir sind für alles offen“ hat sich bislang nichts geändert. Polens Außenminister möchte, dass erst einmal alle EU-Staaten das komplizierte Abstimmungssystem von Nizza testen. „Wenn das System nicht funktioniert“, schlug Cimoszewicz vor kurzem erneut in einem Interview vor, „dann sollten wir alle bereit sein, das Abstimmungsverfahren zu ändern.“

GABRIELE LESSER