Als der Engelschutz versagte

Nach dem mutmaßlichen Mord an Pascal Z. und dem wahrscheinlichen sexuellen Missbrauch von Kindern in Burbach wird gegen viele ermittelt : die Verdächtigen, das offenbar untätige Jugendamt und gegen Polizisten – wegen Aussagenerpressung

aus Saarbrücken-Burbach KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Das „Unfassbare“ ist überall Gesprächsthema Nummer eins. Die mutmaßliche Mordsache Pascal Z. und der dringende Verdacht auf sexuellen Missbrauch von mindestens fünf kleinen Kindern im Saarbrücker Stadtteil Burbach hat das Saarland erschüttert. In den Burbacher Kneipen ist viel von „Schwanz ab!“ die Rede, wenn die Sprache auf die Männer kommt, denen die Missbrauchsvorwürfe gemacht werden. Die Biertrinker sind in guter Gesellschaft. Der Ministerpräsident liegt auf ihrer Linie: Es müsse jetzt „ernsthaft“ darüber diskutiert werden, ob Sexualstraftäter in besonders schweren Fällen nicht „zwangskastriert“ werden könnten, sagte Peter Müller (CDU).

Das ist populistisch und kommt in der „Bruzzelstubb’“ oder der „Burbacher-Stubb’“ gut an. Auch über die Wiedereinführung der Guillotine, mit der einst im von Frankreich annektierten Saarland so mancher Kopf vom Rumpf getrennt wurde, wird hier wieder philosophiert.

Ausgesprochen gerne unter dem Fallbeil sehen würden einige der Maulhelden an den Tresen schon jetzt die mutmaßliche Organisatorin des Grauens, die 50 Jahre alte Wirtin Christa W., in deren heruntergekommener Spelunke „Tosa-Klause“ die Kinder von den „Freiern“ gequält und sexuell missbraucht worden sein sollen. Nach einem solchen brutalen Missbrauch soll dort auch der damals fünf Jahre alte Pascal ermordet worden sein.

Burbach ist das Armenhaus der saarländischen Landeshauptstadt. Ramschläden prägen das Ortsbild, und in den Seitenstraßen liegen Spielhöllen neben schmuddeligen Bars. Man trägt Trainingsanzug. In keinem anderen Viertel der Stadt gibt es so viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger wie in Burbach. „Und jetzt auch noch diese Schande“, so eine ältere Frau im noch ganz passablen Café Dienhart: „Das zieht doch das ganze Viertel noch weiter runter.“ Die Apostolische Kirche in Burbach fordert Mütter und Väter dazu auf, ihre Kinder „unter den Engelschutz“ zu stellen. Wer will, kann zu den Apostolischen kommen und für „alle Kinder dieser Welt“ beten.

Ob das hilft? Der Sumpf jedenfalls ist tief, durch den die ermittelnden Kriminalbeamten waten müssen. Gegen mehrere Polizisten hat die Staatsanwaltschaft inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Strafverfolgungsbehörde soll im Auftrag der Landesregierung herausfinden, ob einige der inzwischen inhaftierten dreizehn verdächtigen Personen von der Polizei tatsächlich mit „Schlägen ins Gesicht“ gefoltert und so zu belastenden Aussagen gezwungen worden sind. Das jedenfalls behauptet ihr Rechtsanwalt. Ministerpräsident Müller wies in diesem Zusammenhang zwar darauf hin, „dass jede Form der Geständniserpressung strafbar“ sei. Doch bei einer „realen Gefahr“ sei es im Ausnahmefall vielleicht doch angebracht, „in die körperliche Unversehrtheit des Täters einzugreifen“.

Der Foltervorwurf ist nicht der einzige, der gegen die Polizei erhoben wird. Über Jahre hinweg soll die hauptverdächtige Christa W. die örtliche Polizei mit Informationen aus dem Milieu versorgt haben. Dafür sei sie von den Beamten bei ihren eigenen krummen Geschäften – vor allem Drogenhandel und Hehlerei – nicht weiter behelligt worden, heißt es etwa im Nachrichtenmagazin Spiegel. Darüber hinaus wurde die im Viertel schon lange übel beleumundete Frau auch noch zur Schöffin am Jugendgericht berufen. Dies, obwohl sie vor Jahren vom Jugendamt mit dem Vorwurf der Misshandlung eines Pflegekindes konfrontiert worden war. In wenigstens vierzehn Fällen soll sie an Verhandlungen über Kindesmissbrauch teilgenommen haben.

Ermittelt wird von der Staatsanwaltschaft inzwischen auch gegen Jugendpfleger im Jugendamt. Die zeigten die mutmaßliche Misshandlung des Pflegekindes durch Christa W. im Januar 2001 zwar bei der Polizei an; doch in den Jahren zuvor seien alle Hinweise von Nachbarn und Erzieherinnen vom Jugendamt schlicht ignoriert oder verharmlost worden, so Zeugenaussagen. Die Polizei soll die Anzeige übrigens nicht bearbeitet haben, Folgen hatte sie jedenfalls nicht. Der Stadtverband Saarbrücken hat die Jugendamtsleiterin am Donnerstagabend zwangsversetzt. Und die Jugendpflegerin, gegen die von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, vom Dienst suspendiert.

Der mutmaßlich ermordete kleine Pascal, der zum Zeitpunkt seines Verschwindens im September 2001 fünf Jahre alt war, gilt offiziell noch immer als vermisst. Seit zwei Wochen sucht die Polizei vor allem in Lothringen nach der Leiche des Jungen. In Frankreich hätten sie den „leblosen Körper“ vergraben, so die Aussage einer verhafteten Frau, die – nach eigenen Angaben – unmittelbar an der fürchterlichen Tat beteiligt war. Sie soll ihren eigenen Sohn an Männer „vermietet“ haben.