„Auf Deutschland kommen Forderungen zu“

Der Amerikaforscher Peter Rudolf erklärt, wie „neu“ die Außenpolitik des künftigen US-Präsidenten Barack Obama sein kann. Er glaubt, Obama wird ein stärkeres deutsches Engagement in Afghanistan verlangen – vor allem wirtschaftlich

PETER RUDOLF, 50, ist Leiter der Amerikaabteilung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

taz: Herr Rudolf, werden wir mit dem zukünftigen US-Präsidenten Barack Obama einen grundlegenden Wandel der amerikanischen Außenpolitik erleben?

Peter Rudolf: Meist überwiegt die Kontinuität. Einen Wandel können wir höchstens an der Art feststellen, wie Barack Obama die amerikanische Führungsrolle wieder herstellen möchte: mit beispielhaftem Verhalten und einer multilateralen Außenpolitik.

Was bedeutet „beispielhaftes Verhalten“?

Obama hat in diesem Zusammenhang oft gesagt, er wolle das Gefangenenlager in Guantánamo schließen und allen Folterpraktiken eine klare Absage erteilen. Außerdem sollen die USA eine Führungsrolle in der Klimapolitik übernehmen.

Wie könnte eine multilaterale Außenpolitik unter Obama aussehen?

Bestehende internationale Institutionen sollen gestärkt und erneuert werden – gerade auch, um sie für die Integration aufstrebender Mächte zu nutzen. Amerikanischer Multilateralismus bedeutet aber immer auch, internationale Institutionen für die eigenen Interessen zu nutzen und die Lasten der Führungsrolle auf andere Staaten verteilen zu wollen.

Wie frei kann Obama tatsächlich seine Außenpolitik gestalten?

Er steht natürlich unter großen außen- und innenpolitischen Handlungszwängen. Hinzu kommt der Konsens der amerikanischen Elite, dass die USA eine unverzichtbare Ordnungsmacht bleiben müssen. Obamas Ziele sind hoch. Zum einen will er eine nuklearwaffenfreie Welt und zum anderen mit gutem Beispiel in der Klimapolitik vorangehen. In beiden Fällen hat der Kongress Mitspracherecht.

Eine nuklearwaffenfreie Welt erscheint äußerst unrealistisch.

Natürlich klingt dies utopisch – aber man kann Weichen stellen. Unter Umständen könnte ein Abrüstungsvertrag mit Russland ausgehandelt werden, auch wenn Russland momentan wieder stärker die Rolle der Nuklearwaffen in seiner Sicherheitspolitik betont. Ein wichtiger Schritt wäre auch, die Zahl der amerikanischen Atomwaffen drastisch zu verringern und die Einsatzdoktrin zu verändern. In den USA wird sich die Debatte darum drehen, wie weit man einseitig Nuklearwaffen abbauen sollte, um die Abrüstungsverpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag ernst zu nehmen.

Ist das auch eine Botschaft an den Iran, auf einer neuen Basis zu verhandeln?

Ob sich potenzielle Atomwaffenmächte von einer veränderten amerikanischen Nuklearpolitik beeindrucken lassen, sei dahingestellt.

Die außenpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA hatten sich, vor allem zwischen Gerhard Schröder als Kanzler und George W. Bush, stark abgekühlt. Ändert sich das nun?

Das Wichtigste wird wohl sein, dass sich in Deutschland die Wahrnehmung der USA und der amerikanischen Rolle verändern wird. Wenn Obama wieder stärker auf die Verbündeten zugeht, wenn Guantánamo geschlossen wird, wenn die USA wieder als eine Kraft wahrgenommen werden, die für Menschenrechte eintritt, die durch ihr beispielhaftes Verhalten vorangeht – dann werden auch die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA politisch und gesellschaftlich wieder auf eine neue Stufe gestellt.

Und was kann Deutschland von Obama erwarten?

Die Bereitschaft Obamas zu einem stärkeren Multilateralismus ist aus deutscher Sicht begrüßenswert. Multilateralismus bedeutet aber eben auch eine Verteilung der Lasten. Hier werden neue Forderungen auf Deutschland zukommen. Ein Beispiel ist die nach einem höheren Engagement Deutschlands in Afghanistan.

Wird Obama mehr deutsche Truppen in Afghanistan fordern?

Ich glaube nicht, dass er die Beziehung zu Deutschland mit einer verschärften Forderung nach einem militärischen Engagement belasten wird. Er wird wohl Rücksicht auf die politische Situation in Deutschland nehmen und darauf, dass im nächsten Herbst Bundestagswahlen sind. Deshalb wird er einen Beitrag im wirtschaftlichen Bereich fordern.

INTERVIEW: CARL ZIEGNER