die inkontinenz des paul von hindenburg auf sylt von ANDRÉ PARIS
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Menschen, an deren Autoheck ein Aufkleber der Nordsee-Insel Sylt haftet, sind mir ein Rätsel. Keinen dieser Insel-Pornografen habe ich bislang zu Gesicht bekommen. Früher überholte ich ihre besudelten Fahrzeuge, um der Insel ein menschliches Antlitz zuzuordnen, doch Atlanten, Tüten oder Stullen, groß wie Surfbretter, verdeckten im Verkehr die Visagen der Fahrer. Also fragte ich im Supermarkt intuitiv fremde Gestalten: „Schon mal auf Sylt gewesen? Nein? Macht nichts. Schönen Tag noch!“ Niemand wollte sich zu derlei Abart bekennen. Verständlich also, dass das, was einst als harmloses Interesse begann, nunmehr zum Feindbild in mir gereift ist.

Schön war die Zeit, als ich noch eine einfache Erklärung über Anlass und Zweck der Insel-auf-Auto-Kleberei akzeptiert hätte. Doch damals war ich jung. Ich wollte die Welt verstehen. An Interesse oder Nachsicht können sich Inselfreunde jetzt nicht mehr laben.

Doch warum musste es zum Feindbild kommen? Was nützt es diesen Menschen, den edlen Geist des Humanismus aus empfindsamen Seelen zu prügeln? Warum will niemand zugeben: „Ja, ich besudele die Welt mit nutzlosen Botschaften, um alle zu quälen. Sylt, Preußen oder powered by emotion, da mache ich keinen Unterschied. Auch angeranzte Hundescheiße würde ich mir aufs Auto kleben, denn dies und zehn verschiedene Handy-Klingeltöne entsprechen meiner Identität.“

Wie viele stranden nachts in Kaschemmen, verschlafen den Tag und werden bald schon arbeitslos sein, weil sie in einer Welt, in der Menschen Hundescheiße spazieren fahren, verzweifeln. Ihnen möchte ich zurufen: „Haltet aus! Seht einfach weg! Denn sonst hätten die Hundescheiße-Terroristen ihr Ziel ja erreicht.“

Doch muss auch hier einmal von Dankbarkeit die Rede sein. Deutsche, die das „Mallorca der Nordsee“ heimsuchen, ersparen anderen Territorien ihre Anwesenheit. Davon profitiert besonders die nur wenige Kilometer nördlich gelegene Insel Rømø. Zwar wurde auch die dänische Insel einst von der Deutschen Wehrmacht besetzt und wie ganz Jütland mit Bunkern zur Errichtung des „Atlantikwalls“ verziert, doch haben die Dänen daraus gelernt: Zum Gram der Deutschen sind nur acht Prozent der Insel bebaut. Abschreckend für Sylt-Freunde ist auch, dass der Strandbesuch in Dänemark gratis ist. Eine Tüte über den Kopf ziehen muss sich dort derjenige, der, wie auf Sylt, unter seinesgleichen bleiben will. Wer nicht im Hitler-Bunker oder am Strand schlafen möchte, wird Rømø wohl wieder verlassen.

Sylt hingegen hatte allein im Jahr 2001 über 2,6 Millionen Übernachtungen von Menschen, die zu 25 Prozent aus Nordrhein-Westfalen kamen und die die Verjauchung der Insel ins Unermessliche trieben. Der Deich, der Sylt mit dem Festland verbindet, heißt dennoch nicht Jauchewall, sondern Hindenburgdamm. Der Reichspräsident eilte 1927 trotz schwerer Inkontinenz nach Sylt, um die nach ihm benannte Passage einzuweihen. Zum Rathaus der Insel fuhr er standesgemäß mit einen Opel, der die erste und eigens für ihn angefertigte Sylt-Plakette am Heck trug.