Beihilfe zum Betrug wird teuer

Für die miesen Tricks mit den kleinen Programmen zur automatischen Einwahl ins Internet mussten bisher die ahnungslosen Kunden bezahlen. Aber jetzt hat ein Berliner Gericht die Rechnung an die Telefongesellschaft zurückgeschickt

von MATTHIAS SPITTMANN

Eisiger Gegenwind für die Zocker mit der Nummer 01 90: Das Berliner Kammergericht hat entschieden, dass ihre Opfer nicht immer alles bezahlen müssen. Woran die Bundesregierung trotz großen öffentlichen Geschreis gescheitert ist – die jetzt veröffentlichte Begründung des Urteils könnte das Ende für 01 90-, 01 37- und 09 00-Betrüger bedeuten.

„Highspeed-Internetzugänge“, „Raubkopien“, „gecrackte“ Pornosoftware oder „zum Ansehen dieser Seiten unbedingt nötige Plugins“: Fast immer verstecken sich hinter solchen Angeboten kleine Programme, die die Verbindung ins Internet nicht über den üblichen Zugangsanbieter abwickeln, sondern über eine teure „Mehrwertdienste“- Rufnummer. Manche dieser so genannten 01 90-Dialer sind so fies verpackt, dass sie von den Microsoft-Programmen Internet Explorer und Outlook automatisch installiert werden, ohne dass der Benutzer etwas davon merkt.

Letzten Sommer kündigte die Bundesregierung eine große Offensive gegen diesen Betrug an. Übrig davon blieb der Paragraf 13 a Telekommunikations-Kundenschutzverordnung. Danach muss eine Telefonfirma eine 01 90-Nummer sperren, wenn bei der Werbung für diese Nummer wiederholt oder schwerwiegend gegen Gesetze verstoßen wird und eine Abmahnung nichts fruchtet.

Doch die Telefonfirmen sind nicht zur Auskunft verpflichtet, ob und wie sie auf die Beschwerde reagiert haben – und die hartnäckigen Betrüger und Spammer haben sich Firmen als Vertragspartner gesucht, die entweder gar nicht reagieren oder sich – im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes – für unzuständig erklären. Auch eine eilig nachgeschobene Verbesserung der Vorschriften halten Experten für ungenügend.

So geht fast alles weiter wie bisher. Noch. Aber mit dem Urteil des Kammergerichts droht Ärger von der anderen Seite. Die Telefonfirma, bei der der Kunde seinen Anschluss hat, muss sich betrügerische Machenschaften des 01 90-Betreibers zurechnen lassen. Das klingt erst einmal nach einem Problem für all die Anschlussbetreiber, die bei der Telekom bloß Untermieter sind. Sie bleiben auf den ergaunerten Gebühren sitzen. Zwar führt auch die Telekom selbst 01 90-Verbindungen auf ihrer Rechnung auf und zieht sie ein – wenn der Kunde aber vehement Widerspruch erhebt, übergibt sie den Fall an den 01 90-Betreiber. Und der weicht regelmäßig vor einer Klage gegen den betrogenen Kunden zurück. Anders bei Betreibern eigener Unternetze wie der Berlikomm. Sie kaufen die Verbindungen zu „Mehrwertdiensten“ und müssen an die Telekom auch dann bezahlen, wenn der Endkunde sich erfolgreich auf Betrug beruft.

Werbung verpflichtet

Doch das interessierte die Berliner Richter nicht. Die Berlikomm habe es dem unter einer Postfachanschrift in Spanien residierenden 01 90-Betreiber „Multimedia EDV, Harald Haase“ (wie allen 01 90-Betreibern) überlassen, für sein Angebot zu werben. Damit sei er „Verhandlungsgehilfe“ der Berlikomm für den konkreten Vertragsabschluss (die Herstellung der Verbindung ins Internet) geworden.

Der installierte Dialer war als „Gratis-Zugangssoftware“ im Internet beworben worden und installierte beim erstmaligen Aufruf eine 01 90-Nummer als Standardverbindung für Windows. Dass das Programm keinen Hinweis auf dieses Verhalten enthielt und auch nach dem Löschen der Datei weiterhin die teuren Verbindungen hergestellt wurden, sah das Gericht als Pflichtverletzung des 01 90-Betreibers an. Und weil die Anschlussbetreiber die Werbung für Mehrwertdienste durch die jeweiligen 01 90-Betreiber ohne weitere Prüfung der Seriosität in Kauf nähmen, müssten sie sich deren Verschulden zurechnen lassen. Dafür spreche zudem, dass die Berlikomm auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Zustandekommen solcher Verbindungen habe.

Die Berlikomm hat das nicht auf sich sitzen gelassen und Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Schließlich geht es um hohe Beträge und „betrifft nicht nur uns, sondern auch andere Carrier“, sagt Berlikomm-Sprecherin Bianca Ridwelski. Bis die obersten Zivilrichter entscheiden, werden aber noch einige Millionen Euro auf die Konten von Dialer-Betrügern geflossen sein.

Schlechte Verträge

Zumindest wenn den Telefonfirmen inzwischen das Risiko nicht doch zu groß erscheint. Denn sie könnten sich durchaus auch selbst davor schützen, auf den Kosten für betrügerische 01 90-Verbindungen sitzen zu bleiben: indem sie schlicht vereinbaren, dass in solchen Fällen die vom Anschlussbetreiber an den 01 90-Betreiber gezahlten Entgelte zurückgefordert werden. Nach dem Gesetz sind die 01 90-Betreiber nämlich eigentlich selbst dafür zuständig, ihre Forderungen einzuklagen. Die von der Berlikomm gewählte Gestaltung ihres Vertrags mit der Telekom, für jede 01 90-Verbindung zahlen zu müssen, egal ob der Endkunde zahlen muss oder nicht, sahen die Richter daher als selbst verschuldetes Problem des Netzbetreibers an.

Die Berlikomm will eine entsprechende Regelung denn auch in einen neuen Vertrag mit der Telekom aufnehmen. Doch eine Rückforderung der für die Verbindungen betrogener Kunden an die Telekom gezahlten Gebühren schließt die Justiziarin der Berlikomm, Ute Hindenlang, aus: Dafür könne sie „keine Rechtsgrundlage“ erkennen.

Mehr Einzeltäter

Alternative Telefonnetzbetreiber tun gut daran, in Zukunft eher auf die seit dem 1. Januar nutzbaren 09 00-Nummern zu setzen. Für jede einzelne wird der Besitzer bei der Regulierungsbehörde registriert – 01 90-Nummern wurden in Tausenderblöcken vergeben, daher konnten selbst Profis kaum herausfinden, wer tatsächlich hinter einer einzelnen Nummer steckte. Die 09 00er-Nummern dagegen können notfalls einzeln entzogen werden. Und sie sind frei tarifierbar. Den Preis legt der Anbieter fest. Er kann sich sogar während der Verbindung ändern.

Damit werden Verträge zwischen der Telekom und Stadtnetzbetreibern, wonach jede zustande gekommene Verbindung zu festgelegten Tarifen zu bezahlen ist, unsinnig. Und wenn ohnehin jede Verbindung einzeln durch den 09 00-Betreiber zu berechnen ist, dann kann der ja auch – wie bei der Telekom üblich – das Einklagen der Forderung übernehmen. Die Berlikomm trüge dann nicht mehr das Risiko.

Aber Leider sind 01 90-0- und 09 00-Rufnummern nur über die Telekom erreichbar – die alternativen Netzbetreiber haben die Einführung der Vorwahl 09 00 verzögert mit dem Argument, die Telekom mache kein Angebot für die Abrechnung frei tarifierbarer Rufnummern.

Die Telekom wiederum spielt den Ball zurück: Sie sei gerne zum Abschluss solcher Verträge bereit, die Stadtnetzbetreiber müssten nur auf die Telekom zukommen. Und zudem sei es ja auch möglich, selbst Verträge mit den Mehrwertdienste-Anbietern abzuschließen. Wer auch immer schuld ist – an „Mehrwertdiensten“ verdienen sie alle. Für die betrogenen Verbraucher steht jedenfalls zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof die Rechtsprechung des Kammergerichts bestätigt.