KANNIBALENPROZESS: DIE KRITERIEN ZUR SELBSTBESTIMMUNG SIND UNKLAR
: Plädoyer für einen Freispruch

Die Welt ist voller Perverser. Nur: Wer gehört dazu? Menschenfresser und Menschen, die sich schlachten lassen wollen, da sind sich fast alle einig. Hier endet die Selbstbestimmung, Strafe muss sein.

Juristisch geht das gestrige Urteil sicher in Ordnung. „Tötung auf Verlangen“ konnte nicht vorliegen, weil der Täter Armin Meiwes nicht nur den Tötungswunsch seines Opfers verwirklichen wollte, sondern selbst großes Interesse am Tötungsakt hatte. Ein Mord konnte es aber auch nicht gewesen sein, da das Opfer freiwillig alles mitmachte.

Auffällig ist aber, dass Armin Meiwes als voll schuldfähig gilt, während das Gericht die Einwilligung seines Opfers wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung als irrelevant einstufte. Wurde hier nicht mit zweierlei Maß gemessen? Der Täter wurde für eine Tat zur Verantwortung gezogen, für die das Opfer, das eigentlich Mittäter ist, keine Verantwortung übernehmen durfte.

Letztlich werden in diesem extremen Fall auch zentrale Fragen persönlicher Autonomie verhandelt. Dabei fällt auf, wie unklar doch die Kriterien sind: Wann darf oder muss diese Autonomie beschränkt werden? So kann es beispielsweise nicht relevant sein, dass das Geschehen in Rotenburg auf die meisten Menschen extrem abstoßend wirkt. Schließlich schafft die Gesellschaft, die das private Geschehen kriminalisiert, ja erst die Voraussetzungen für die fast schon lustvoll ekelgeschüttelten Berichte über den Kannibalenprozess.

Man könnte auch sagen: Die Selbstbestimmung muss dort enden, wo die Folgen irreversibel sind. Lustvolle Hiebe sind noch erlaubt, lustvolles Töten und Getötetwerden nicht. Doch auch der Tod als endgültiger Einschnitt ins Leben gibt hier keine Orientierung. Schließlich ist der Selbstmord als Ausdruck der Selbstbestimmung schon lange erlaubt. Und ein Großteil der Bevölkerung würde sogar die Sterbehilfe bei Schwerkranken legalisieren.

Es scheint, dass die Kriminalisierung relativ willkürlich erfolgt. Doch wenn es keine zwingenden Gründe gibt, dann sind es vermutlich auch keine guten Gründe. Eigentlich müsste Armin Meiwes freigesprochen werden. CHRISTIAN RATH