FRIEDENSDEMOS: DER KLEINSTE GEMEINSAME NENNER AUF DER STRASSE
: Die Gelassenheit der Mehrheit

2:0 – Borussia Möchengladbach gewinnt am Wochenende gegen den HSV. Auf dem Bökelberg entrollt ein Fan von Borussen-Trainer Ewald Lienen ein Transparent: „Mit Ewald gegen den Krieg und den Abstieg!“ Jetzt demonstrieren sie schon in den Fußballstadien gegen den Krieg. Weltweit haben am Samstag wieder hunderttausende Menschen demonstriert, allein in Berlin waren es fünfzigtausend. Der erste Eindruck ist verblüffend: Wie früher prägen bunte Gestalten mit liebevoll gebastelten Schildern das Geschehen, die uralten Sprechchöre mit ihren mehr oder minder intelligenten Slogans sind wieder da, und längst totgesagte K-Gruppen ringen verzweifelt um Aufmerksamkeit.

Doch auf den zweiten Blick ist alles ganz anders: Nichts ist zu spüren von der Abschottung und der Hermetik der Forderungen, die vor allem die Demonstrationen der 70er-Jahre auszeichneten. Nichts von dem dogmatischen Übersprung, der die Aktivisten noch bis tief in die 80er-Jahre zwangsläufig bei Kapitalismuskritik und Revolution landen ließ. Nichts von dem Hyperrationalismus der 90er-Jahre, mit dem die linke Kritik die Leidenschaft verdrängte. Auch jetzt noch sind Demonstrationen zugleich Selbstverständigungsprozesse. Das Ungewöhnliche aber ist eine neue generationenübergreifende Gelassenheit, die die Botschaft ausstrahlt: Wir sind die Mehrheit.

Die Kritik am Irakkrieg, das zeigt sich zwischen dem Bökelberg und dem Alexanderplatz, kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Entsprechend selbstbewusst tritt sie auf. Diese Mitte hat ihren Preis: den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Ablehnung des Krieges, die Kritik an der Hegemonialpolitik, der Protest gegen George W. Bush. Jenseits dieser Überzeugungen bleiben die politischen Ziele nicht der Demonstranten, aber der Demonstration recht allgemein: Es gibt fast so viele Motive wie Teilnehmer.

Macht das was? Im Gegenteil. Wir haben uns tatsächlich, wie Herfried Münkler es nannte, zu einer „postheroischen Gesellschaft“ entwickelt, zu einer Gesellschaft, die sich seit den 70er-Jahren zunehmend zivilisiert hat. Deswegen ist es inzwischen auch für die Mitte ganz selbstverständlich, auf die Straße zu gehen. BASCHA MIKA