Kurden kämpfen gegen Krieg

30.000 kommen zum kurdischen Neujahrsfest nach Frankfurt am Main. Sie fürchten eine neue türkische Offensive gegen kurdische Gebiete und tanzen für den Widerstand

FRANKFURT/MAIN Es hatte die größte Kurden-Demonstration werden sollen, die es jemals in Deutschland gab. Die Veranstalter erwarteten am Samstag in Frankfurt am Main bis zu 100.000 Menschen zur gemeinsamen Newroz-Feier, dem kurdischen Neujahrstag zum Beginn des Frühlings. Davon war am Samstagvormittag kaum etwas zu sehen, gerade 3.000 verteilten sich rund um die Stufen des Granitbrunnens vor der Alten Oper. Sie tanzten die traditionellen Rundtänze und warteten, bis sich dann doch insgesamt 30.000 versammelt hatten.

Die Busse aus der ganzen Bundesrepublik und dem europäischen Ausland waren verspätet angekommen, weil die Polizei sie an den Einfallstraßen der Stadt streng kontrollierte. Das habe, sagt der zwölfjährige Ferat, bei ihnen nur zehn Minuten gedauert und sei „gar nicht schlimm“ gewesen. Die Staus aber hatten den Verkehr rund um die Main-Metropole zwischenzeitlich völlig lahmgelegt. Ferat war mit seiner Familie aus Gütersloh angereist und wusste genau, was er zu tun hatte. Zusammen mit seinen Freunden verteilte er am Rande des Demonstrationszuges Flugblätter, reichte sie an Passanten, schob sie unter Scheibenwischer.

Die älteren Verwandten hatten andere Aufgaben. Selten hatte Frankfurt eine so gut organisierte Massenveranstaltung gesehen. Hunderte Ordner sorgten im bunten Zug für fast preußische Disziplin, drängten ihre Landsleute in Blöcke, sortierten die Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK aus, gaben die Parolen vor und achteten strikt darauf, dass die polizeilichen Auflagen eingehalten wurden. Die gelben Fahnen mit dem Konterfei des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan waren erlaubt und wehten zu tausenden. Ihm vor allem galten die Parolen: „Es lebe Öcalan! Freiheit für Öcalan!“ Aber auch Rufe nach Frieden und Demokratie, für die Gleichberechtigung der Frauen und den Sturz Saddam Husseins erklangen. Redner sahen die fragilen Versuche der vergangenen Jahre, das Verhältnis zwischen den Kurden und dem türkischen Staat zu entspannen, als gescheitert an. Ein Einmarsch türkischer Soldaten in kurdische Gebiete im Windschatten der USA bedeute neuen Krieg.

Diese Sorge überschattete die Abschlussfeier auf dem Rebstockgelände. „Türkei – Terrorist“, skandierte die Menge. Man werde, so die Redner, jedem Versuch, von welcher Seite auch immer, ihr Gebiet anzugreifen, Widerstand entgegensetzen. Trotzdem verstehe man sich als Bestandteil der internationalen Friedensbewegung und wolle „Frieden, Freiheit, Völkerverständigung“. Ferat brachte auf den Punkt, was er bisher über die komplizierte Gemengelage im Mittleren Osten gelernt hat: „Apo ist im Gefängnis, und wir müssen schon wieder kämpfen.“

HEIDE PLATEN