Die Antwort auf Notlagen

Gröpelinger Sozialzentrum fördert Nachbarschaftshilfe jetzt systematisch: Nach dem Prinzip Topf und Deckel bringt die „Nachbarschaftsbörse“ Helfer und Hilfesuchende künftig zusammen

taz ■ Gröpelingen hat Notlagen und Vereinsamung künftig etwas Besonderes entgegenzusetzen: „Familienpatenschaften“ heißt das neue Angebot des Sozialzentrums, das Hilfsbedürftige und Hilfsbereite von nun an mittels „Nachbarschaftsbörse“ zueinander bringt. Die junge alleinerziehende Mutter beispielsweise mit der Nachbarin, die das ältere Kind betreut, während die Mutter mit dem Säugling schnell zum Arzt flitzt. Oder den Schulabgänger, der ohne einen erwachsenen Mahner und Antreiber nie eine Stellen-Bewerbung auf den Weg bekäme.

„Erste Probeläufe waren erfolgreich“, stellten gestern der Leiter des Sozialzentrums Gröpelingen, Erwin Böhm, und Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) das Projekt als „wegweisend“ vor – das trotz erster liebenswerter Erfolgsnachrichten aber auch in der Kritik steht.

„Besonders zurückhaltend waren anfangs die Mitarbeiter des ambulanten Sozialdienstes junger Menschen“, sagt Sozialzentrums-Chef Böhm. Und Senatorin Röpke bestätigt kritische Diskussionen im eigenen Haus – hauptsächlich zu den Fragen: Wo reicht ehrenamtliche Hilfe, wann muss professionelle Hilfe her? Und wer organisiert, dass nicht blinder Sparwille siegt – zum Beispiel bei der jungen Schwangeren in einer Krise. Ein Fall von neulich macht die Problematik deutlich: Soll die werdende Mutter für viel Geld ins Mädchenhaus – oder reicht mütterliche Begleitung durch eine Sozialhilfeempfängerin, die über das Projekt „Familienpatenschaften“ nur einen Euro pro Stunde dazu verdient?

„Das sind heikle Fragen“, räumt Böhm ein. In diesem Fall habe Nachbarschaftshilfe genügt. „Ein Glücksfall.“ Die Ältere habe der Jungen sogar bei der Geburt beigestanden. Das Gemeinschaftshaus Stuhmer Straße habe diese Entwicklung begleitet.

Dort heißen die Weichensteller Martina Marx und Dieter Sevecke. Schon lange vermittelt Martina Marx Zusatzjobs an SozialhilfeempfängerInnen. Derzeit hat sie 75 solcher – durchaus umstrittenen – Stellen im Quartier besetzt, deren InhaberInnen für begrenzte Zeit jeweils einen Euro pro Stunde dazu verdienen. Künftig wird sie per Nachbarschaftsbörse auch Hilfsbedürftige und ihr Hilfe-Pendant zusammen bringen.

„Und überall, wo professionelle Hilfe nötig ist, wird sie Dieter Sevecke einschalten“, den Leiter des Gemeinschaftshauses, heißt es. „Sowas meinen wir, wenn wir von aktivierender Hilfe sprechen“, lobte Sozialsenatorin Röpke. Mit wenig Unterstützung würden Menschen durch diese Gröpelinger Initiative vernetzt und zur Selbsthilfe befähigt.

„Mir hat die Arbeit gut getan“, bestätigt Susanne Olesch diese Sicht. Die 45-jährige Krankenschwester half einer alleinstehenden Frau nach einem Armbruch zurück in den Alltag. Als Mutter dreier Kinder lebt sie selbst seit ihrer Scheidung von Sozialhilfe. „Ich will auch etwas zurückgeben“, sagt Olesch selbstbewusst. Das Projekt gebe ihr die Chance dazu – und vielleicht auch die zum Wiedereinstieg in den Beruf. ede

Kontakt zum Projekt „Familienpatenschaften“: 361-9320, Martina Marx