Die Farbe des Krieges

Desert Storm Art: Die U.S. Army schickt Künstler als Soldaten an die Front, die Bilder vom Irakkrieg malen, auf denen nicht Missiles, sondern Menschen zu sehen sind. Nur der Tod der heroischen Troopers bleibt auf den Schlachtengemälden abwesend

von ANDRÉ MEIER

Wie sehr es auf das Bild ankommt, weiß auch der Präsident. Es ist Donnerstag, der 20. März 2003, 4.11 Uhr Mitteleuropäische Zeit. Willig lässt George W. Bush sein Haar von fremder weiblicher Hand ordnen, während er versucht, seiner Stimme die dem Ereignis angemessene Betroffenheit zu verleihen. Allerdings weiß er nicht, dass er schon längst auf Sendung ist. Im Ersten Deutschen Fernsehen. Und so beginnt hierzulande der 2. Golfkrieg mit gezielten Kamm- und Haarfestigerattacken auf George W. Bushs Haupt.

Kein Wunder, dass die U.S. Army dem Fernsehen misstraut. Schon im letzten Golfkrieg waren die Bilder, die CNN der Heimatfront bescherte, ein Desaster. Der Himmel über Bagdad eine einzige grüne Suppe, die eigenen Treffer – ein paar mickrige Lichtblitze und am nächsten Tag der ganze Bildschirm voller Kollateralschäden. Frauen und Kinder, die anklagend ihre blutigen Verbände in die Kameras streckten. Es ist ein Dilemma: Je effizienter die letzte verbliebene Supermacht ihre Kriege führt, desto magerer ist die Ausbeute an heroischem Bildmaterial. Daran hat sich auch zwölf Jahre später nichts geändert. Sicher, die Aufnahmen aus Bagdad sind nicht mehr ganz so grün, die Bombenexplosionen imposanter, und fast jeder große Sender hat einen Kriegsreporter in einem alliierten Panzer sitzen.

Doch all diese Bilder haben ein entscheidendes Manko, sie preisen die Technik, sie huldigen der Strategie, sie feiern die Logistik, aber sie präsentieren keine Gesichter. Der einzelne Soldat ist hier nur anonymer Teil einer reibungslos funktionierenden, hochmodernen Kriegsmaschinerie. Jedenfalls so lange, bis seine Leiche vor die Kameras des Feindes gezogen wird.

Keine zehn Straßenzüge vom Weißen Haus entfernt versucht Sergeant Elzie Golden tapfer, den TV-Bildern zu trotzen und dem Krieg ein männlich herbes Antlitz zu geben. Wir sind in Fort Lesley J. McNair, im Gebäude des U.S. Army Center of Military History. In einem niedrigen, nur durch Neonlicht erhellten Raum hat Golden seine Staffelei aufgebaut und ist dabei, eine Gruppe GIs in einer kargen Berglandschaft zu positionieren. Seit zwei Wochen arbeitet der Endvierziger an dem Bild. Unteroffizier Golden war nach seinem Kunststudium in der Werbebranche tätig, bevor er sich entschloss, eine Uniform anzuziehen, um sich ganz der Malerei zu widmen. „Man muss jemanden finden, der gewillt ist, einen finanziell zu unterstützen“, gesteht Golden, der sich als Teilnehmer des „Staff Artist Program“ der U.S. Army auf seinen Einsatz im Irak vorbereitet. Angst hat er keine und natürlich, auch das lässt der Sergeant uns wissen, sei er „sehr stolz“, seinem Land mit seinem Talent dienen zu können.

Seit dem Ersten Weltkrieg schickt die U.S. Army, ebenso wie Marine und Luftwaffe, so genannte Soldier-Artists an die Front. Egal ob Landung in der Normandie, Koreakrieg, Vietnamdesaster, Desert Storm, Somaliaeinsatz, Kosovo oder nun wieder der Irak, überall, wo amerikanische Truppen kämpften und kämpfen, wurden und werden sie von Kriegsmalern begleitet. Oft war es nur eine Hand voll Künstler pro Feldzug, und doch sind so in den letzten neunzig Jahren über 15.000 Arbeiten im Auftrag der Armee entstanden. Sie alle lagern in den Kellern von Fort Lesley und sollen den Grundstock eines noch zu bauenden zentralen US-Armeemuseums bilden. Spätestens 2009, verspricht Brigadegeneral John Brown, Chef des Army Center of Military History, soll es in Washington seine Pforten öffnen.

Bis dahin werden wohl auch jene Bilder fertig sein, auf denen Sergeant Golden seine Impressionen vom neuen Krieg am Golf in Öl festhalten wird. Drei bis vier Wochen soll er mit Fotokamera und Skizzenblock die Truppen im Irak begleiten. Welche Motive er dort aufgreift, sei ihm überlassen, beteuert der Sergeant. Wichtig sei seinen Auftraggebern allein, dass man auf den Bildern etwas erkennen kann und dass er Kampfplätze, Einheiten und Soldatennamen nicht durcheinander bringt.

Natürlich muss Golden auch aufpassen, dass sich seine Bilder von jenen Arbeiten unterscheiden, die im Kunstdepot von Fort Lesley unter dem Sammelbegriff „Desert Storm Art“ lagern. Auf ihnen ist der Golfkrieg von 1991 weder gesichtslos noch grün. Im Gegenteil. In grellbunten Farben wird der Feldzug als multiethnisches Heldenepos abgefeiert: Farbige und weiße Soldaten der 101. Luftlandedivision ziehen Schulter an Schulter mit finsterer Miene durch den Wüstensand. Hier sieht der Krieg tatsächlich aus, wie wir ihn aus einschlägigen Hollywoodstreifen kennen: Männer statt Missiles. „American Hero“, „The Man of The Year“ oder „Don’t Mess With The 101st“ heißen Bilder, die Goldens Vorgänger, Sergeant Peter G. Varisano, von seiner Expedition mit nach Hause brachte, und genau so schauen sie auch aus: eine Mischung aus Comicstrip und sozialistischem Realismus.

„Nein, Propaganda ist das nicht“, versichert Army Art Curator Renée Klish, als sie Varisanos Arbeiten präsentiert. Die Kunsthistorikerin ist noch nicht lange in Fort Lesley und eigentlich Expertin für griechische Plastik der Perikleszeit. Nun, von der Army gut zweieinhalbtausend Jahre nach vorne katapultiert, versucht sie, den amerikanischen Waffengängen der Neuzeit stilkritisch beizukommen: Der Erste Weltkrieg sei formal noch ziemlich disparat, sogar abstrakte Werke wären in ihrer Sammlung; der Zweite käme zwar realistisch, aber mit seinen dominierenden Schwarz- und Brauntönen erstaunlich düster daher. Was, wie Klish glaubt, wohl an der gerade überstandenen Weltwirtschaftskrise gelegen haben muss. Vietnam dagegen sei scheußlich bunt. „Sehr viel Acryl, grelles Gelb, Grün oder Orange, ein Hauch von Psychedelic liege über dem Ganzen.“

Die Beflissenheit, mit der sich die Kuratorin von Krieg zu Krieg hangelt, ist erstaunlich. Abgesehen von einigen Auftragsarbeiten, die an renommierte, patriotisch gesinnte Zivilmaler wie etwa Norman Rockwell gingen, lagert in Klishs Depot, künstlerisch gesehen, überwiegend Schrott. Interessant ist die Sammlung trotzdem. Zeigt sie doch, wie sich das Bild vom Krieg in der Wahrnehmung seiner Akteure gewandelt hat. Während die Arbeiten vom Ersten und Zweiten Weltkrieg, ja auch noch aus Korea und Vietnam, durchaus Leid, Tod und Verwundung thematisieren, sparen die Werke aus der jüngeren Zeit diese Seite des Krieges fast völlig aus. Blut und Leichen sucht man in der Desert-Storm-Art-Abteilung von Fort Lesley vergeblich.

Verständlich, denn wenn, wie im letzten Golfkrieg, innerhalb weniger Tage 100.000 irakische, aber nur 147 amerikanische Soldaten fallen, ist aus dem noch immer Krieg genannten Unternehmen längst ein einseitiges Schlachtfest geworden. Der Respekt vor dem Gegner weicht einem trügerischen Omnipotenzgefühl. Der GI wird zum unverwundbaren Jäger im Reich des Bösen. Scheitert er, dann höchstens an sich selbst: Suizid, Unfalltod oder friendly fire.

Jede halbwegs künstlerisch-realistische Schilderung dieser Kriegsführung käme dagegen einem Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung gleich und fände wohl kaum Platz in dem von den Militärs herbeigesehnten großen US-Armeemuseum. Also wird der Tod, der ja heute vor allem der tausendfache Tod des Gegners ist, ebenso ausgeklammert wie der Feind an sich. Was bleibt, ist der einsame Held in der Wüste, ist die fast kontextlose theatralische Inszenierung der eigenen soldatischen Tugenden. Egal ob Somalia, Afghanistan oder Golfkrieg, die plakative Betonung des Heroischen nimmt in dem Maße zu, wie die direkte Gefährdung des einzelnen kämpfenden amerikanischen Soldaten abnimmt.

Sergeant Golden lässt uns zum Abschied wissen, dass er privat gern abstrakt male und sein Lieblingsbild Pablo Picassos „Guernica“ sei. Auf die Frage, was ihn angesichts solcher Neigungen ausgerechnet an der Kriegsmalerei reizt, antwortet er trocken, „die Darstellung einfacher Menschen in außergewöhnlichen Umständen“. Kuratorin Klish ergänzt, dass damit nicht nur die eigenen Männer gemeint sein müssen, denn schließlich wären in ihrem Depot auch jede Menge Werke, die zeigten, wie „Kinder getröstet würden“.

Oder Hunde. Das Lieblingsbild der Kuratorin hängt in einem Extratrakt des Depots und zeigt einen Gebirgsjäger der Wehrmacht, der mit seinem Schäferhund im Schnee kauert. Mit breitem Pinsel aufgetragen, fühlt sich Klish bei dessen Anblick an den deutschen Expressionismus erinnert und meint, die Liebe zwischen Hund und Landser förmlich spüren zu können. Das Bild gehört zur „German-War-Art-Collection“, Kriegs- und Nazikunst aus Deutschland, die gemäß dem Potsdamer Abkommen von der Siegermacht USA beschlagnahmt wurde. Insgesamt 8.722 Werke, darunter ein Großteil jener Kriegsgemälde und -zeichnungen, die deutsche Frontmaler im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht anfertigten. 1947 wurden diese Arbeiten nach Übersee verschifft.

Etliche der NS-Bilder hingen jahrzehntelang in den Büros des Pentagons, bis sie 1985 den Deutschen zurückgegeben wurden. Doch nicht von allen Beutekunststücken konnten sich die Amerikaner trennen. 450 der ideologisch verfänglichsten oder aus amerikanischer Sicht putzigsten Gemälde und Zeichnungen, darunter etliche aus Hitlers Hand, wanderten ins Depot von Fort Lesley. Auch sie sollen ab 2009 im neuen Armeemuseum hängen: „Es ist doch schön, wenn man zeigen kann, wie die andere Seite den Krieg erlebt“, freut sich Army Art Curator Klish, bevor sie die Lichter ihrer Kunstkammer wieder ausknipst.

Die großen US-Fernsehanstalten teilen diese Meinung nicht. Heimgekehrt, sehen wir, was CNN und andere Stationen der Heimatfront vorenthalten: die neuen Bilder der anderen Seite, die ersten amerikanischen Kriegsgefangenen dieses Feldzugs. Wir schauen in die jungen, weichen, von Angst gezeichneten Gesichter der amerikanischen Soldaten und denken an Sergeant Elzie Golden, der nun als Frontmaler irgendwo zwischen Basra und Bagdad auf der Suche nach jenem Antlitz des Krieges ist, das in die Keller von Fort Lesley passt.