Triumphales Gewurstel

Brock Clarke: „Leitfaden zum Abfackeln von Schriftstellerexistenzen“

Sam Pulsifer ist ein Wurstler. Zumindest in Harry Rowohlts großartiger Übersetzung dieses Romans von Brock Clarke, der sich „Leitfaden zum Abfackeln von Schriftstellerresidenzen“ nennt. Im englischen Original ist Pulsifer ein bumbler, also jemand, der sich auf eine langsame, komplizierte Art recht nonlinear durchs Leben schlägt und sich mit jeder Nicht-Entscheidung tiefer in die Scheiße reitet. Also herumwurstelt. Oft reflektiert Sam über das, was ein Wurstler tut: „Nüchtern war es das Cousinchen des Versagens; aber betrunken konnte das Gewurstel triumphal sein.“

Außerdem ist Sam Pulsifer ein Brandstifter und Mörder „aus Versehen“ und damit ein tragischer, ein sehr tragischer Held. Der Ich-Erzähler, der Ich-Erzähler hasst, hat als Jugendlicher versehentlich das Emily-Dickinson-Haus angezündet, in dessen Schlafzimmer sich zudem gerade die Museumswärterin und ihr Mann vergnügten. Als er seine Strafe abgesessen hat, verlässt er seine Heimatstadt, für deren Bewohner die Lage klar ist – jugendlicher Brandstifter bleibt jugendlicher Brandstifter –, studiert statt Englischer Literatur lieber Verpackungswissenschaften, verliebt sich und beginnt ein paar Kilometer weiter ein neues Leben als Familienvater.

Das „neue Leben“ ist dabei wörtlich zu nehmen. Der Protagonist trennt seine Geschichten so gewaltsam, dass seine Frau nichts von seiner Vergangenheit als vermeintlicher Brandstifter weiß, während seine Eltern nichts von seiner anderen, der neuen Familie ahnen. Das geht so lange gut, bis Jahre später weitere Schriftstellerresidenzen brennen – und Sam zu lügen beginnt, weil die Lügen wahrer als die Wahrheit klingen.

Rezensentenfloskel hin oder her – über Clarks „Leitfaden zum Abfackeln von Schriftstellerresidenzen“ kann man getrost schreiben, dass er todtraurig ist. „Wenn unser Leben nur ein endloses Lied über Hoffnung und Bedauern ist, dann ist ‚Oh nein‘ offensichtlich der Refrain“, schreibt Brock Clarke, und „Oh nein“ sagt man als sein Leser tatsächlich oft vor sich hin.

Clarke, Dozent für Creative Writing in Cincinnati, hat es geschafft, sich einen Fundus von Bildern zu erschließen, der noch nicht heillos ausgebeutet ist. Es gibt so viele schlaue Sätze in diesem Buch, dass es, sofern man zum Anstreichen schlauer Sätze neigt, eigentlich in seiner Gesamtheit unterkringelt gehörte. Nun kippen schlaue Sätze gern in Aphorismen um; aber auch jene sind bei Clarke größtenteils so charmant abgeschrägt, dass man ihm sogar rhetorische Fragen über das Leben verzeiht. Gleichzeitig ist sein Roman, und das ist leider allzu leicht durchschaubar, permanent Kippbild und Allegorie der Literatur an sich. Wenn der Protagonist herauszufinden versucht, wer ihm die Brandanschläge in die Schuhe schieben will, trifft er episodisch auf verschiedene Verdächtige, allesamt natürlich überaus skurrile Gestalten; ähnlich wie die Detektive eines Paul Auster reflektiert er dabei weniger über die Fälle selbst als über die Strukturen von Text, Sprache, Vergessen und Erinnern. Die anderen Figuren in Clarkes „Leitfaden“ ärgern sich derweil über ihr eigenes Figur-Sein. Deshalb hat Sams Mutter alle Bücher aus ihrem Haus verbannt, deshalb nennt die Professorin für Englische Literatur alle Schriftsteller nur noch Fotzen, und deshalb soll eben auch das eine oder andere Schriftstellerhaus niedergebrannt werden: ein kollektiver Protest gegen das postmoderne Diktum vom Leben als Text.

Das ist im Prinzip eine schöne Idee, scheint aber an manchen Stellen allzu selbstreferenziell und künstlich. Wenn jemand, der alles verloren hat, sich beispielsweise plötzlich in eine Buchhandlung – immerhin keine Bibliothek – aufmacht, weil er meint, er müsse etwas über alle Geschichten der Welt lernen, um seine eigene zu verstehen: dann befindet man sich allzu offensichtlich in ebenjenem Buch, aus dem hier alle ausbrechen möchten. DANA BÖNISCH

Brock Clarke: „Leitfaden zum Abfackeln von Schriftstellerresidenzen“. Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. Kein & Aber, Zürich 2008, 416 Seiten, 22,90 Euro