Der andere sitzt im Wohnwagen

EUREGIO taz ■ Was Vorurteile angeht, haben beide jedenfalls den gleichen Geschmack. Die Niederländer seien immer mit dem Wohnmobil unterwegs, sagen die Deutschen. Ja, die Deutschen, die führen immer mit Wohnmobilen durch die Gegend, sagen die Niederländer. Annika Angenendt haben diese Klischees von Anfang an amüsiert. Seit eineinhalb Jahren studiert sie in Venlo an der Internationalen Hochschule für Wirtschaft. Viele nette Holländer hat sie kennen gelernt. Und wenig Wohnwagen.

Die Niederlande seien kein Land, zu dem sie eine sentimentale Bindung hätte, sagt die 21-Jährige aus Geldern. Dazu ist sie ein zu pragmatischer Mensch. Sie habe nach dem Abitur ein Studium im Nachbarland angestrebt, weil die Venloer Hochschule gut sein soll und weil Absatzwirtschaft angeboten wird. Aber auch weil das Studium kürzer ist und mehr an der Praxis orientiert.

Niederländisch braucht sie an Fontys Hogescholen nicht zu können. Alle Vorlesungen und Seminare finden auf Englisch oder Deutsch statt. Auch mit den holländischen Mitstudenten unterhalte man sich auf Englisch. Da sie noch bei ihren Eltern im eine halbe Stunde entfernten Geldern wohnt, braucht sie die fremde Sprache nicht für das tägliche Studentenleben.

Trotzdem lernt Annika die Nachbar-Sprache. „Ich wollte es einfach können.“ Und nun kommt sie vermehrt mit Kommilitonen ins Gespräch, erfährt, dass es in den Niederlanden keinen Schlüsseldienst gibt. Oder „dass die Niederländer sich darüber amüsieren, dass wir immer mit Einliterflaschen durch die Gegend laufen“, sagt Annika lachend.

An Venlo schätzt sie auch die konzentrierte Arbeitsweise, die ihre in Deutschland studierenden Freundinnen oftmals vermissen. „Wir haben einen straffen Stundenplan, keine Semesterferien, sondern nur Schulferien und eine richtige Klassengemeinschaft“, schwärmt Annika. Natürlich sei das auch stressiger. Man könne nicht unbemerkt fehlen, ständige Klausuren machten Bummeln unmöglich und gerade zu Beginn des Studiums sei der Druck so groß. „In den ersten Monaten sind schon fünf von 30 gegangen“, sagt sie.

Dafür ist Annika nach vier Jahren Regelstudienzeit eine praktisch geübte Geschäftsfrau. In der Schule arbeitet sie in einer zu Lernzwecken gegründeten Aktiengesellschaft, die Futternäpfe für Hunde produziert. „Da lernt man auch Sozialkompetenz, was an deutschen Unis nicht immer üblich ist.“ Auch nach ihrem Studium kann sich Annika gut vorstellen, in den Niederlanden nach einer Arbeitsstelle zu suchen. Schließlich hat sie ihr Klischee über Wohnmobil fahrende Niederländer um einige Einsichten erweitert. „Sie laufen ständig mit Halbliterflaschen durch die Gegend, kriegen das mit der Arbeitslosigkeit besser geregelt und nehmen sich selbst nicht so wichtig.“ Annika findet das sympathisch.CLAUDIA LEHNEN