Eine Heimat mit zwei Sprachen

Durchs Gelderland geht eine Sprachgrenze: Mit bilingualem und historischem Engagement verknüpft ein Lehrer die Menschen aus den Niederlanden und Deutschland – ein zweisprachiges Schulbuch über Regionalgeschichte hilft dabei

VON CLAUDIA LEHNEN

Als Grenzgänger fühlt er sich nicht. Eher wie jemand, der mittendrin steckt in einer Region, die eins ist, obwohl sie zu zwei Ländern gehört. Eine rote Linie teilt auf der Landkarte das im Mittelalter existierende Herzogtum Geldern in einen niederländischen und in einen deutschen Teil. Diese beiden Hälften einander näher zu bringen, hat sich Gerd Halmanns, Lehrer für Geschichte, Deutsch und Niederländisch am Lise-Meitner-Gymnasium in Geldern und Vorsitzender des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend e.V. zur Aufgabe gemacht.

Vor allem die Schüler des 50-Jährigen sollen lernen, dass hinter der Grenze das Land nicht zu Ende ist. „Ich habe den Anspruch, dass meine Schüler Geschichte grenzüberschreitend begreifen, dass sie verstehen, dass die Historie unseres Raumes nicht an den Grenzen von heute aufhört“, sagt Halmanns. Viel ist nötig, um des Pädagogen Vorstellungen an den Schulen auf deutscher und niederländischer Seite in die Tat umsetzen zu können. Da müssen Vorurteile abgebaut, Schulpartnerschaften aufgebaut und – ganz banal – fehlendes Unterrichtsmaterial konzipiert werden.

Der Pädagoge hat deshalb an einem Schulbuch mitgearbeitet, das zweisprachig die Geschichte der Region auf beiden Seiten der Grenzen erläutert. Er unterrichtet Niederländisch als Wahlpflichtfach, organisiert seit 20 Jahren Fahrten zur Partnerschule in Panningen und hält Absolventen dazu an, sich doch auch jenseits der Grenze um einen Ausbildungs- oder Studienplatz zu bemühen.

Halmanns ist nicht der einzige, der den kleinen Grenzverkehr so intensivieren möchte, dass man kaum mehr sehen kann, dass es da eine Grenze gibt. Schon in den 1960er Jahren habe ein einzelner Europafan die Zusammenarbeit zwischen deutschen und holländischen Schützenvereinen angeregt.

Seit 1993 hat die Euregio Rhein-Waal, die sich vom niederländischen Apeldoorn bis nach Duisburg erstreckt, als erste der fünf Euregios an deutsch-niederländischer Grenze eine eigene Satzung und unterstützt grenzüberschreitende Projekte. Durch Interreg wurden zum Beispiel ein Informationsnetz im Internet geschaffen, gemeinsame Touristenprogramme konzipiert, Verkehrswege ausgebaut und die medizinischen Versorgungsnetze beider Staaten verknüpft, so dass Engpässen auf diesem Gebiet flexibler begegnet werden kann. Auch Halmanns Schulbuch wurde durch Gelder der Euregio ermöglicht. Insgesamt erhält die Euregio nach Auskunft von Mitarbeiterin Melanie Huber in einem Zeitraum von sechs Jahren 30 Millionen Euro von der EU, mit denen sie grenzüberschreitenden Projekten auf die Beine helfen kann.

Auch das Theater Mini-Art in Bedburg-Hau ist ein Kind der Interreg. Dort, wo das Land Nordrhein-Westfalen und die niederländischen Provinzen Gelderland, Noord-Brabant und Limburg aneinander stoßen, bietet das Theater-Projekt grensland, das seit 1996 Jugendliche aus den Niederlanden und Deutschland einander näher bringen soll, zweisprachige Vorstellungen, dramenpädagogische Projekte mit Jugendlichen beider Länder sowie Begegnungen zwischen deutschen und niederländischen Kinder- und Jugendtheatern. Weil Lehrer Halmann die Arbeit des Theaters südlich von Kleve so erfolgversprechend findet, fährt er regelmäßig mit seinen Schülern und einer niederländischen Partnerklasse aus Panningen nach Bedburg-Hau.

Bei diesen Besuchen lernten die Jugendlichen viel über Hass, Rassismus, über Vorurteile, Fremdsein und Anderssein, meint Halmanns. Was auch über zehn Jahre nach dem Maastricht-Vertrag immer noch nötig zu sein scheint: Zwar steige an grenznahen deutschen Schulen das Interesse an Niederländisch als Wahlpflichtfach und etwa zehn Prozent der Abiturienten vom Lise-Meitner-Gymnasium in Geldern sähen die Niederlande als Ausbildungs- oder Studienort, freut sich Halmanns. Auf der anderen Seite hätten aber gerade seine niederländischen Kollegen Schwierigkeiten, ihren Schülern das Interesse an der deutschen Sprache zu vermitteln. „Dort ist Deutsch als Fremdsprache weit hinter Französisch zurückgefallen“, klagt der Pädagoge. Deutschland sei für Niederländer einfach „nicht cool“. Halmanns und seine Lehrerkollegen haben noch viel zu tun.