TÜRKEI: ENDLICH WIRD DER PROZESS GEGEN LEYLA ZANA WIEDER AUFGEROLLT
: Chance für Reformer

Gestern nahm endlich das türkische Staatssicherheitsgericht den Prozess gegen Leyla Zana und drei weitere ehemalige kurdische Parlamentsabgeordnete wieder auf. Es ist eines der ersten praktischen Ergebnisse des Reformprozesses, der nicht zuletzt aufgrund des Drucks der EU stattgefunden hat. Das erste Verfahren gegen die vier kurdischen PolitikerInnen war vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unfair gerügt worden und wird deshalb nun auf Grundlage der neuen türkischen Rechtslage wiederholt. Die Revision ist nicht nur eine Chance für die bekannte kurdische Gefangene Leyla Zana, sie wird auch zeigen, ob die Reformen nur auf dem Papier stattfinden oder tatsächlich umgesetzt werden.

Abgesehen davon, dass der Prozess nun in einer ganz anderen Atmosphäre stattfindet als 1994 – damals befand sich der Bürgerkrieg im Südosten der Türkei auf dem Höhepunkt – hat sich für die Angeklagten nicht sehr viel verändert. So werden sie demselben Gericht wie 1994 vorgeführt. Dass dieses Gericht nun willens ist, sich selbst zu korrigieren, darf bezweifelt werden. Allerdings hat sich die Zusammensetzung zwischenzeitlich geändert. Die Militärrichter, die es damals noch gab, sind im Zuge einer Reform anlässlich des Öcalan-Prozesses ausgemustert worden.

Mit den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU steht es derzeit, gerade was die Kurdenfrage angeht, nicht zum Besten. Das Verbot der prokurdischen Hadep vor wenigen Wochen, die Rüge des Öcalan-Prozesses durch Straßburg und zuletzt die Debatte um einen türkischen Einmarsch im Nordirak haben die Skepsis gegenüber einer EU-Mitgliedschaft der Türkei bestärkt. Ein Freispruch für die Sacharow-Preisträgerin des Europäischen Parlaments wäre deshalb nicht nur für die Angeklagten wünschenswert, sondern würde auch das Klima zwischen der EU und der Türkei wieder verbessern. Nach dem Freispruch für die deutschen Stiftungen – ebenfalls vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara – kann die Justiz nun erneut zeigen, ob sie zu Augenmaß und Gerechtigkeit fähig ist oder nicht. JÜRGEN GOTTSCHLICH