Demut und Bescheidenheit

Die Stimmung der Aussteller und Besucher bei der Internationalen Möbelmesse in Köln war verhalten, aber positiv. Besinnung auf Bewährtes scheint in der Rezession im Trend zu liegen

VON MICHAEL KASISKE

„Wir haben die Kompetenz für Design“, lautet die Losung, die die imm cologne – die Internationale Möbelmesse – seit dem vergangenen Jahr selbstbewusst ausgibt. Diese Neuausrichtung nahm erneut mit zwei so genannten „Ideal Houses“ in zwei Atrien der prominenten Hallen am Rhein Gestalt an. Unter dem Titel „Bouroullecs versus Campanas“ und somit als Stilduell annonciert, sollten zwei Brüderpaare mehr Würze in die matte, von Umsatzrückgängen gebeutelte Möbel- und Einrichtungsbranche bringen.

Ob damit das Dilemma der Messe gelöst werden kann, über die bloße Schau hinaus Position zu beziehen? Das „Ideal House“ der Franzosen Ronan und Erwan Bouroullec wurde durch Vorhänge aus kleinen Kunststoffteilchen strukturiert, die ohne Werkzeug jederzeit neu gruppiert und zusammengestellt werden können, dazwischen waren minimalistische Möbelstücke in einer aseptisch weißen Umgebung drapiert. Ihre „Gegner“, die brasilianischen Brüder Humberto und Fernando Campana, verwendeten hingegen Images spontaner Favela-Architektur: Ungeordnet angenagelte Bretter und Industriemüll sollten wie „natürlich gewachsen“ wirken; zum Niederlassen standen freilich pompöse Möbel vom Zeichentisch der Campanas herum, wie das scheinbar endlose Sofa „Boa“ in dunkelblauem Samt.

Trotz dieser topaktuellen Designer als Zugpferde verringerte sich erneut die Zahl der Aussteller im Vergleich zum letzten Jahr, die renommierte und gewohnt Trend angebende Firma Cassina fehlte sogar. Die Messe zeigte sich unentschieden, ob sie den bekannten Bedürfnissen der Verbraucher nach Authentizität und Beständigkeit Rechnung tragen ober ob sie ungeachtet der Rezession auf modisches Konsumverhalten setzen will.

In dieser Hinsicht waren die im gemeinsam mit dem Rat für Formgebung ausgelobten Nachwuchswettbewerb ausgewählten Arbeiten spannend, schließlich steht jeder junge Designer vor der Frage, was er einer übervollen Dingwelt anzubieten hat. Zum Beispiel einen edlen „Feudel-Teppich“, entworfen von den Hamburger Designern Julia Thesenfitz und Christian Wedekind; dieser nach dem detaillierten Waffelmuster eines gewöhnlichen Haushaltsfeudels aus gebleichter Rohseide gewebte Teppich fand auf der Messe erfreulicherweise einen Hersteller. Auch junge Berliner Designer waren zahlreich vertreten, wie etwa das Duo Kai Funke und Wilm Fuchs mit dem dreibeinigen Klappstuhl „Walker“. Dass all diese Entwürfe beiläufig in einer Hallenecke präsentiert wurden, war allerdings unverständlich.

Die Stimmung der Aussteller und Besucher war verhalten, aber positiv, schließlich gab es auch Heimkehrer zu verzeichnen. So meldete sich Thonet nach zwei Jahren Abstinenz wieder im Wohnsektor zurück. Im Mittelpunkt stand der Stuhl „A 660“, entworfen von dem englischen Designer James Irvine und dessen unaufgeregtem Umgang mit gebogenem Bugholz. Das Material, das einst den Erfolg der Firma begründete, steht für Besinnung auf Bewährtes. Gleiches gilt für die in den 1960er-Jahren entworfenen Möbel des Ulmer Gestalters Hans Gugelot, die es bei Habit zu entdecken gab: Sein Sessel GS 1076 ist eine Fortentwicklung und eine preiswerte Alternative zu den sattsam bekannten Sitzgerätschaften des Bauhauses. Denn anders als diese wird weder eine Maschinenästhetik bemüht, noch ist eine aufwändige Verarbeitung wie etwa bei den Sesseln von Mies van der Rohe nötig.

Leider blieb der Cross-over von der Messe zu den parallel stattfindenden „Passagen – Interior Design in Köln“ in diesem Jahr auf die Firma ClassiCon beschränkt, die der Designerin Eileen Gray außerhalb der Messehallen eine kleine Schau zum 125-jährigen Geburtstag ausrichtete. Bedauerlich ist die Abkopplung besonders in Bezug auf die Nachwuchsförderung. Der bislang gemeinsam veranstaltete Wettbewerb „Spin Off“ wurde nun von den Passagen allein weitergeführt und die Ergebnisse prominent, dennoch etwas abseits in der ständigen Sammlung des Museums für angewandte Kunst präsentiert.

Die anhaltende Zurückhaltung italienischer Firmen fingen die Passagen durch zahlreiche Ereignisse an bislang unzugänglichen Orten auf. Wie etwa die Präsentation „Stylepark in Residence“, die in einem ehemaligen Gebäude der Deutschen Bahn am Rheinufer stattfand. Unter dem Motto „Barock 2004“ hatten sich die von der Internet-Plattform stylepark vertretenen Hersteller und Designer in den verlassenen Büroräumen eingerichtet und ihre sonst nur auf dem Bildschirm sichtbaren Produkte fassbar werden lassen.

Ein ebenfalls anspruchsvoller Ausstellungsort ist das schmalste Haus von Köln, in dem die Werbeagentur Rendel & Spitz bereits im vierten Jahr eine Ausstellung initiierte. Hinter „unidentifiziert – non identified“ verbarg sich ein von weißem Stoff begrenzter, schlundartiger Gang, der vor einem blau illuminierten Aquarium mit Quallen endete. Als „eine mahnung zu demut und bescheidenheit“ wollte der nicht genannte Designer dieser Installation den Anblick auf die jenseits von Raum und Zeit im Wasser schwebenden Lebewesen verstanden wissen.

Unbekannt bleiben wollte auch der amerikanische Architekt, aus dessen Sammlung sich die Ausstellung „Der 4-eckige Blick“ im Museum für Angewandte Kunst (MAK) rekrutiert. Mit der Vorgabe „Design und Kunst im Dialog“ zeugen Bilder und Objekte vom Schreibtisch bis Auto von den Wechselwirkungen zwischen den reinen und den angewandten Künsten. „Ich möchte den Europäern zeigen, was die Amerikaner alles aus der Bauhaus-Idee zu machen vermochten“, umreißt der Sammler seine Motivation zum systematischen Anhäufen von Spitzenstücken aus der Dingwelt des vergangenen Jahrhunderts. Für seinen Kindheitstraum, Autodesigner zu werden, stehen zwei stattliche Limousinen, und von dem Objekt, das an zweiter Stelle seiner Präferenz rangiert, nämlich dem Radio, wird eine ganze Phalanx unterschiedlichster Typen gezeigt.

Von dem Gespür des unbekannten Sammlers für die Balance zwischen Individualismus, serieller Produktion und Qualität als Kriterien für die Exponate bis zum wohl am häufigsten zitierten Satz dieser Messe ist es nur ein gedanklicher Katzensprung. Die Einrichtungsbranche sollte sich dieses Diktum der Brüder Campanas gleich ins Stammbuch schreiben: „Das ideale Haus ist in dir selbst.“