Souverän auf Grund gelaufen

Sie galt als florierendes Unternehmen mit gut gefüllten Auftragsbüchern: Jetzt musste die Bremerhavener Lloyd-Werft Insolvenz anmelden, nachdem ein Luxusliner-Neubau havarierte und der Reeder die fällige Rate nicht überwiesen hat

„Wenn Sie im Driver-Seat sitzen, müssen Sie bis zum Schluss optimistisch sein“

aus BremerhavenJan Philipp Hein

Seit Tagen war es grau, stürmisch und regnerisch gewesen in Bremerhaven. Ausgerechnet gestern Mittag dann strahlte plötzlich die Sonne über der Stadt und der Lloyd-Werft. Und das darf als einigermaßen zynisch gelten: Denn genau um zwölf Uhr verkündete Miteigentümer und Werftchef Werner Lüken das, was man in Bremerhaven schon so häufig gehört hat: „Um 11:30 Uhr wurde das Insolvenzverfahren über die Werft eingeleitet.“

Ausgerechnet die Lloyd-Werft. Auf sie war man immer besonders stolz in der krisengeschüttelten Stadt an der Wesermündung. Jedes Kreuzfahrt-Schiff, das zur Reparatur oder zum Umbau in die Docks kam, wurde freudig begrüßt und feierlich wieder verabschiedet. Dass dieser Werft so etwas geschehen könnte, hatte niemand gedacht. 1984 hatte der Bremer Vulkan als ehemals größter deutscher Werftenverbund Anteile der Lloyd-Werft erworben – aus dem Konkurs des Mutterkonzerns 1996 war das Unternehmen dann gestärkt hervorgegangen: Es reparierte Schiffsriesen wie die „Queen Elizabeth 2“ in Rekordzeit oder baute den Stolz der Franzosen, die „France“, zur „Norway“ um.

Gestern nun zog plötzlich ein Hauch von Vulkankrise durch die Seestadt. Bei der Betriebsversammlung, zu der auch besorgte Bremer Senatoren herbeigeeilt waren, verstanden die Mitarbeiter die Welt nicht mehr: Hatte es doch lange so ausgesehen, als ob das Unglück mit der „Pride of Amercia“ der Werft keinen substanziellen Schaden zugefügt hätte. Mitte Januar war der im Bau befindliche Ozeanriese während einer Orkannacht auf Hafengrund gelaufen. Vier Decks wurden überflutet. Mit Schlagseite liegt das Schiff bis heute an der Pier.

Werftchef Lüken zeigte sich gestern nach außen souverän. Er erinnerte daran, dass man seit acht Jahren schwarze Zahlen schreibe, die Werft ein florierendes Unternehmen mit ordentlich gefüllten Auftragsbüchern sei. Auch in den Tagen vor der Insolvenz wussten offenbar nur Insider, wie schlimm es um den Schiffbauer steht. In der Öffentlichkeit sprach man derweil lieber über zwei neue Aufträge im Sommer. Und als Lüken sagte, dass das Unglück zu 100 Prozent versichert sei, hatte es ein Durchatmen auf der Werft und in der Stadt gegeben.

Betriebsratschef Klaus Rosche, zugleich ehrenamtlicher SPD-Stadtrat für Arbeit, wunderte sich deshalb nicht darüber, dass die 525 Mitarbeiter der Werft das Unglück „schwer aufnahmen – wo doch alles so positiv aussah“. Lüken selbst gestand ein, dass seine Worte mit reichlich Zweckoptimismus garniert waren: „Wenn Sie im Driver-Seat sitzen, müssen Sie bis zum Schluss optimistisch sein, sonst schaffen sie das nicht.“ Und so macht ihm derzeit auch niemand einen Vorwurf wegen schlechten Krisenmanagements oder irgendwelcher Zahlungsengpässe. Einzig und allein das Unglück sei an dieser nicht „normalen Insolvenz“ schuld, sagen Politiker aller Parteien. Der Glaube an eine schnelle Genesung der letzten bedeutenden Werft Bremerhavens ist groß. Doch erst mal muss die „Pride of America“ geborgen werden. Vorher, das machte Lüken klar, werden keine wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Weder vom Versicherer, noch von den Banken, die bisher Kredite verweigern, auch nicht vom Bremer Senat und erst recht nicht vom Reeder, der erst sagen muss, ob er das Schiff überhaupt noch haben will. Das ist der Knackpunkt. Mittwoch verhandelt Lüken mit der in Miami ansässigen „Norwegian Cruise Line“ über diese heikle Frage. Wenn die Verhandlungen schief gehen und das Schiff nicht auf der Lloydwerft fertig gestellt werden soll, würde es ganz düster aussehen. Ein Szenario, das Optimist Lüken sich nicht ausmalen will. Käme es so, wären wohl auch all die Solidaritätsbekundungen und unkonkreten Hilfsangebote der Politik, die gestern gesandt wurden, hinfällig. Über 2.000 Arbeitsplätze stehen bei der Lloydwerft und ihren Zulieferern jetzt auf dem Spiel. Alle Hoffnungen ruhen nun auf dem Insolvenzverwalter Wolfgang van Betteray. Die Verdienstmedaille der Stadt Bremerhaven hat der Mann schon – seitdem er die Werft bei der Pleite des Vulkan-Konzerns 1996 schon einmal aus schwerer Schieflage gerettet hat.

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