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: Die Mindestrente heißt Sozialhilfe

„Greife nie in ein fallendes Messer“, heißt eine alte Börsenregel: Nicht einsteigen, wenn die Kurse sacken, sondern erst dann, wenn sie gesackt sind. In den vergangenen 17 Monaten konnte man den Eindruck haben, dass diese Regel auch für den Sozialstaat gilt: Gerhard Schröder entdeckte nach der Wahl erst den Staatsbankrott und dann die Agenda 2010, ein Kürzungsprojekt nach dem anderen jagte durchs Regierungsviertel, und wehe, es stellte sich jemand der Konsolidierungswut des Kanzlers in den Weg.

KOMMENTAR VON DETLEF GÜRTLER

Jetzt liegt das Messer am Boden. Die Sparpakete sind Gesetz, die SPD ist bis zum Stammwählerverein abgemagert, der Kanzler hat seine vorerst letzte historische Mission verwirklicht und ist bald nur noch Kanzler, nicht mehr Parteichef. Also darf man das Messer wieder aufheben.

Das versucht die SPD jetzt mit ihrer neuen Sympathie für die Mindestrente. Dabei geht es zwar gar nicht um das absolute Minimum der Altersversorgung, sondern nur um einen am vormaligen Einkommen gemessenen Prozentsatz, unter den die Rente nicht fallen darf. Trotzdem lautet die Botschaft: Schaut her, Bürger und Genossen, von jetzt an sorgen wir dafür, dass das Tal der Tränen nicht immer tiefer und tiefer wird. Die Rente ist zwar nicht mehr so sicher wie bei Blüm, aber zumindest irgendwie sicher. Wir versprechen euch, dass sie auf jeden Fall zum Leben reichen wird.

Ökonomisch ist das natürlich Unfug. In einem Umlageverfahren kann den Rentnern gar keine Mindesthöhe versprochen werden, weder prozentual noch absolut. Denn jeder Euro, der an die Rentner ausgezahlt wird, muss entweder von der Erwerbsbevölkerung durch Sozialabgaben oder von der Gesamtbevölkerung durch Steuerzahlung oder von der zukünftigen Bevölkerung durch Staatsverschuldung aufgebracht werden. Kein Gesetz kann garantieren, dass irgendein Rentenniveau sicher ist, wenn sich die Volkswirtschaft gerade in Trümmer legt.

Deswegen, ebenfalls ungern thematisiert, hat der Begriff „Mindestrente“ den gleichen Bedeutungsinhalt wie der Begriff „Sozialhilfe“. Denn das, was dem behördlich definierten Modellrentner der Zukunft einen sicheren Lebensabend garantieren soll, wird die realen Normalrentner der Zukunft – also mit den unübersichtlichen Erwerbsverläufen der Gegenwart – unter die Armutsgrenze stoßen. Solange sich die öffentliche Diskussion um diese Einsicht herumdrückt, liegt das Messer weiter am Boden.