Ground Control in Hessen

In Nordhessen gibt es kaum noch Vollerwerbslandwirte. Aber im Nebenerwerb kommt man klar. Die Brüder Winter haben es riskiert: Sie züchten Mutterkühe für Fleischrinder. Trotz BSE und Tiefpreisen

Thomas Winter (36) arbeitet eigentlich als Baggerfahrer im Steinbruch. Im Nebenerwerb betreibt er zusammen mit seinem Bruder Volker eine „Mutterkuh-Zucht“ für Fleischrinder. Die schwerste Rasse, die es gibt: französische Charolais.

Das Produkt heißt „Absetzer“, weil das halbjährige Kalb zum Weitermästen verkauft wird. Die Vervollkommnung der Jungtiere findet um diese Jahreszeit im Stall statt. Silagefutter ist genug da. Zum Füttern braucht’s zwar nur etwa anderthalb Stunden pro Tag, aber gerade jetzt haben sie viel zu tun, weil die Kühe bis März abkalben. Da muss man oft nachsehen. Außerdem wird, sobald kein Frost mehr kommt, der Mist auf den Wiesen verteilt.

Im Steinbruch gibt’s auch eine Saison: Im Winter relative Ruhe, aber ab Frühjahr ordentlich Betrieb, denn gegen Herbst werden die letzten Gelder beim Bauen verbraten.

Für Zugereiste ist es eigentlich verwunderlich, dass es in Ober-Empfershausen überhaupt noch Vollerwerbsbauern gibt. Der Boden ist zu schlecht, und außerdem geht es in diesem Quertal zwischen der Fulda und dem Quellort der Mülmisch bei Quentel, ganz schön „roff un ronner“. Ein einziger hauptberuflicher Landwirt ist in der Gegend übrig geblieben. In den höheren Lagen war es im vergangenen Sommer katastrophal, die Wiesen waren alle ausgetrocknet. Deshalb mussten sie im August schon das erste Silo aufmachen. Einige kaufen Mais zu, der ist aber teuer. Nur im Grund, wo die „Mülmisch“ ständig ihren Lauf wechselt, war es feucht genug.

Ohne Ground Control geht hier wie dort nichts: „Was die Behörden sagen, da kommt man garnet drummerum“, sagt Winter. Zum Beispiel bei den Bodenproben, die alle fünf Jahre der Maschinenring erledigt. Obergrenze zum Streuen von Stickstoff auf den Wiesen wären 60 kg pro Hektar.

Der Stickstoffgehalt regelt den Futterertrag ganz direkt: Als sie wegen geringem Viehbestand mal nichts ausgebracht haben, sank er gleich um die Hälfte. Die ökonomische Lage ist klar: BSE hat dem Markt und seinen Teilnehmern schweren Schaden zugefügt, zur Kompensation gibt es aus Brüssel Prämien für Futterflächen und Mutterkühe, „das geht net annerster“.

Die Preise sind im Keller, das Fleisch kommt von überallher: Italien, Spanien, vor allem aus dem Osten. Aber im Kombipack Nebenerwerb kommt man dann doch zurecht. Die Brüder Winter sind nicht zaghaft. Sie wollten etwas riskieren und sind 1997 mit dem Stallneubau – weitgehend in Eigenarbeit – expandiert.

Das bisschen Mauern am neuen „Tretmiststall“ war kein Problem. Und der Thomas hat schon immer gern mit „Viechern, mit Pferden und Kühen rumgemacht, da habe ich keine Angst vor“. In der Nähe stehen denn auch einige Pferde, Reiten ist sein Freizeitspaß. Früher auch im Verein. Ein Paar Westernstiefel hat er noch.

In dem schönen Buch „Leben auf dem Lande im Wandel der Industrialisierung“ am Beispiel des angrenzenden Dorfes Körle schreibt Kurt Wagner: Die Pferdebauern waren noch in den 1920er-Jahren die reichen und hatten auch politisch am meisten zu sagen, dann kamen die mit den Kühen. Die Ziegenbauern waren die ärmsten, meistens Tagelöhner.

Die Winters hätten also zu den Mittelprächtigen gehört, die man als Nebenbei-Unternehmer mit eigener Tagelöhnerschaft bezeichnen müsste. Das hat aber jetzt kaum noch Bedeutung. Landwirtschaft ist heute nicht mehr die harte Knochenarbeit, die den Körper ruiniert. Diese Wende findet Thomas Winter gut. Und Klassen- oder Schichtungskampf findet höchstens zwischen ihnen und den immer mehr zuziehenden Städtern statt, die sich über den Mistgeruch beschweren.

Wir befinden uns hier in Eiterhagen. Warum heißt sein Dorf so? Das weiß Thomas Winter auch nicht. In einer der Lobeschriften über diese Gemeinden im Landkreis Kassel, die zum Söhrewald zusammengeschweißt sind, heißt es zu „dem Namen Eiterhagen, dass es sich hier um einen Ort an einem schnell dahinfließenden Bach handelt, der von einer schützenden Hecke umhegt war“.

Die Nordhessen gelten im Allgemeinen als spröde und schwer zugänglich. Da sollte man mit ihnen auf der Dorfstraße aber mal ins „Schnuddeln“ geraten! Thomas Winter schnuddelt jedoch wenig, er ist ein bisschen wortkarg. „Sie waren ohnehin nie Freunde von großen Worten, eher etwas verschlossen und herb und für ein Eigenlob viel zu bescheiden“, sagt die Broschüre über die Eyterhayner. Thomas Winter lässt „lieber die anderen reden“. MARTIN REUTER

Die taz-Serie „Die Agronauten“ fragt: Sind auch Sie bereit fürs Land? Folge 5: Thomas Winter, Viehzüchter im Nebenerwerb