Orte der Zusammenkunft

Schlaf-Sofas sind auf dem besten Wege, das klassische Bett abzulösen. Für Trendforscher ist das Multifunktionsmöbel gar eine Metapher für die Single-Gesellschaft: Nicht mehr Höhlen-, sondern Lagerfeuerfeeling ist angesagt

von Anne Schemann

Zu Großmutters Zeiten war das Bett noch heilig. Schwer und mächtig hatte es seinen festen Platz im Schlafzimmer – und niemand wäre auf die Idee gekommen, es tagsüber zusammenzuklappen und dort mit Gästen einen Kaffee zu trinken.

Heute ist dagegen alles anders, „flexibel sein“ heißt das neue Lebensmotto, und dazu passt kein unverrückbares Massivbett mehr. Taufrisch ist die Alternative allerdings auch nicht gerade: Laut Designer Axel Venn, der als Trendberater für Firmen und Messegesellschaften arbeitet, begann der Siegeszug des Schlafsofas bereits mit den ersten Studenten-WGs Mitte der 60er Jahre. Für die Zukunft traut Venn dem Doppelmöbel sogar zu, das Bett auszubooten: „Die Menschen haben keine Lust mehr, ein Monstrum im Raum stehen zu haben.“ Die moderne Wohnung zeichne sich durch „große Flächen und kleine Möbel“ aus. Das Schlafsofa sei somit ein „Symbol für die wichtiger werdende Bewegungsfähigkeit des Menschen“. Denn der wechselt Berufe wie Wohnorte – und in vielen Fällen auch die Bettpartner. Laut Statistischem Bundesamt hat sich der Anteil der Single-Haushalte in Deutschland gegenüber 1950 fast verdoppelt.

Eine Einladung auf das heimische Sofa-Bett ist angesagt

Genau darin sieht Trendberater Venn die große Zukunft der Multifunktionscouch. Für Singles seien Schlafsofas „ideale Orte der Zusammenkunft“. Soll heißen: Mit wenigen Handgriffen kann der unverfängliche Sofa-Plausch ins Bett verlagert werden. Weshalb Venn in der Sofa-Mode sogar „eine Metapher für unsere Gesellschaft“ erkennt: „Es gibt keine festgefügten Gemeinschaften mehr, sie sind so sporadisch, wie sich Schlaf-Sofas öffnen und schließen lassen.“

Nicht zuletzt deshalb ist eine Einladung auf das heimische Sofa-Bett für den Trendforscher auch nicht anzüglich, sondern angesagt. Am Ende der 90er Jahre habe das allerdings noch ganz anders ausgesehen: Da hätten sich Singles in ihrer Wohnung lieber eine einsame Höhle gebaut. Die Trendforscher nannten das „Kokoning“. Jetzt, zu Beginn des neuen Jahrtausends, liebten es die Deutschen laut Venn zwar immer noch kuschelig – aber in Gesellschaft. Nicht mehr Höhlen-, sondern Lagerfeuer-Feeling. Drei Schlagworte bringen den neuen Zeitgeist für Venn auf den Punkt: „Sich Wohlfühlen, Innigkeit und Liebe“. Übertragen auf die Raumgestaltung heiße das: weiche Stoffe, warme und fröhliche Farben, Flokati-Teppiche vorm Kamin, dunkle Holzarten. Und eben Schlafsofas. Zum Beispiel aus Kord, wobei „ein kräftiges Rot“ in der Sofa-Mode dem neuen Liebesbedürfnis Ausdruck verleihe. Schöne neue Sofa-Welt?

Die Realität sieht ein bisschen anders aus. Auf den ersten Blick klingt das Wort „Schlaf-Sofa“ zwar vielversprechend. Klingt praktisch und multifunktional, nach Bonus-Zugabe und gelungener Symbiose. Auf den zweiten Blick verbirgt sich hinter dem dynamischen Doppelpack aber oft ein fauler Kompromiss. Zum Beispiel ein ungemütliches, weil zu breites Sofa, auf dem entweder die Beine den Boden berühren oder der Rücken eine Lehne findet, beides zugleich aber für normal große Sitzer unmöglich scheint. Was zur Folge hat, dass ein solches Schlaf-„Sofa“ eben nicht zum Wohnmittelpunkt wird, sondern unbesessen in der Ecke steht. Oder der schlechte Kompromiss wird nachts spürbar, weil die Unterlage entweder zu hart oder zu weich, auf keinen Fall aber bett-gemütlich ist. Folglich können auch morgendliche Rückenschmerzen Zweifel am Segen des Multifunktionsmöbels wecken. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass das Wort „Sofa“ laut Lexikon aus dem Arabischen stammt – und frei übersetzt „Kissen auf Kamelrücken“ heißt. Und käme etwa jemand auf die Idee, sich nächtens auf ein hügeliges Tier zu betten?

Knietest und Wellenschlag: Tipps, Tricks und Trends

Wer aber mit der Zeit gehen will – und dennoch keine Schlafsofa-Enttäuschung erleben, sollte zumindest beim Kauf genau hinsehen. Der Leiter des Möbelprüfinstituts in Nürnberg, Reimund Heym, rät beispielsweise, die Polsterqualität durch „Test-Knien“ zu prüfen. Sinken die Knie tief ein und stoßen gar auf Grund, so der Fachmann, sei das ein Zeichen für schlechtes Material. Wer lieber Zertifikaten vertraut, sollte auf ein goldenes „M“ achten – das Siegel der Gütegemeinschaft Möbel. In den meisten Fällen hat Qualität aber leider auch ihren Preis. Beim Schlafsofa-Test des ARD-Ratgebers kam das teuerste Sofa (Pragma, Firma Sedda, ca. 1500 Euro) auf Platz eins.

Ansonsten präsentiert sich die Sofa-Szene erfindungsfreudig. Trendsetter auf der Kölner Möbelmesse im Januar waren die Bettliege „Wave“, die sich vom Bürostuhl über einen gemütlichen Sessel zum Bett verklappen lässt, und die Bettkombination „Smara“ des Designers Paolo Piva. „Smara“ besteht aus einer Matratzenwiese, über die sich eine kleine Brücke wölbt, die zugleich als Sitzbank und Frühstückstisch genutzt werden kann. Hier zeigt sich, dass die Möbel-Designer offenbar versuchen, nach dem Wohnzimmer auch Küche und Büro in die Bett-Kombination aufzunehmen. Wenn das so weitergeht, müssen wir in Zukunft gar nicht mehr aufstehen.