Mehr geht nicht

Hurra, wir leben noch: Udo Lindenberg feierte in der Color Line Arena „30 Jahre Exzess“ und schüttelte allen die Hand, die im Hotel Atlantic mit ihm Wodka getrunken haben. Peinlich? Vielleicht. Aber das sollte so sein

Wo‘s langgeht weiß er ohnehin: Friede, Liebe, dann mal einen trinken und weg mit den Nazischweinen

Fanfaren ertönen, Licht aus, Spot an. Da steht er auf dem langen Steg im Innenraum der Color Line Arena. Schwarzer Mantel, schwarzer Zylinder, die Haare mühevoll wirr, die Hände zum Herrgott gereckt, und schreit: „Konsequenz hat einen Namen!“

Ben Becker gibt den tollwütigen Bühnenhund und kündigt den „Aufmarsch der Giganten“ an. Sprich: Udo Lindenbergs große Geburtstagsparty mit seiner Band, dem Panikorchester, die er im Laufe des Abends „begnadete Wahnsinnige“, „Rock‘n‘Roll-Götter in Menschengestalt“ oder „älteste Boyband der Welt“ bezeichnen wird. Zu feiern gibt es „30 Jahre Exzess“.

Die Bühne ist groß, dahinter prangt eine noch größere Leinwand, auf der Udo die Diashow seines Lebens abfährt. Fotos, Filme, Bilder. 1973 ging es los, hier bin ich mit Honecker. Er spielt alles: Cello, Pankow, Odyssee. Und natürlich geht es hinter dem Horizont weiter. Und jeder, der schon mal im Atlantic einen Wodka getrunken hat, kommt brav auf die Bühne, gratuliert und darf dafür kurz singen. Denn Udo weiß: „Normalerweise wird so ein Anlass vulgär auf dem Friedhof gefeiert.“ Hurra, wir leben noch, am Bühnenrand wacht stumm Eddy Kante.

Udo hat alles gemacht, stellvertretend für sein meist 40-jähriges, begeistertes Publikum und berichtet gern: Seemänner, geile Meile, Kneipenschluss, Minibar. Zur Illustration torkelt ein Kulissenmatrose quer durch den Bühnenhintergrund. Ach so. Wo‘s langgeht weiß er ohnehin: Friede, Liebe, wir fahren alle nach Shanghai, die kommen zu uns, dann mal einen trinken und weg mit den Nazischweinen. Na klar. Wirr hängt dabei die Krawatte, er schleudert sein Mikro, fängt es oft, bleibt am Kabel hängen, eine herab fahrende Leinwand trifft seinen Kopf, er stolpert, hält sich an seinen Tanzmiezen fest. Egal, wer will ihn nicht lieb haben. Hängt ihm eine Kamera in sein Atlantic und wir haben einen eigenen Ozzy Osbourne.

Und hey, ein bisschen peinlich darf es ruhig zugehen, denn er hat beschlossen, es solle so sein. Also gibt es nahezu alles zu sehen in knapp drei Stunden: Ben Becker schwenkt seine geliebte rote Fahne, Nina Hagen liegt auf dem Rücken und spreizt die Beine, Peter Maffay mag auch keine Nazis, Stuckrad-Barre tanzt glückstrunken am Bühnenrand, Olivia Jones zeigt richtig Bein und Otto Waalkes singt „Johnny Be Good“. Der Vorhang fällt, Werbung für „Die Bahn“ wird eingeblendet. Mehr geht einfach nicht. Woanders gibt‘s das nicht. Danke Udo. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Volker Peschel