Die Spitzensäger

Bayerisch-schwäbische Waldarbeiter bereiten sich auf die Weltmeisterschaften vor

Auf der Anhöhe oben am Waldrand hat sich Wolfgang Heidemann einen ungewöhnlichen Trainingsplatz aufgebaut. Dicke Baumstämme – auf der ganzen Länge mit blauen Längsstreifen markiert – liegen auf leicht geneigten Metallgestellen. „Hier trainiere ich für die Meisterschaften der Waldarbeiter“, erklärt der Deutsche Meister von 1999 und amtierende Vizemeister Wolfgang Heidemann. „In den Jahren, in denen wir mit der deutschen Nationalmannschaft zu einer Weltmeisterschaft fahren, sind das wöchentlich mindestes acht bis zehn Stunden.“

Heidemann und sein Kollege Gerhard Briechle kommen beide aus Bayerisch-Schwaben – Briechle aus Maria Steinbach bei Memmingen, Heidemann aus Erisweiler bei Krumbach. Die beiden gehören zur Weltelite der Waldarbeiter. In Deutschland wechseln sie sich immer wieder ab, wenn die höchsten Weihen, sprich die Meister- und Vizemeistertitel der Waldarbeiter, vergeben werden.

Fünf Disziplinen gibt es bei den alle zwei Jahre stattfindenden Weltmeisterschaften, ebenso bei den Bayerischen und Deutschen Meisterschaften. Königsdisziplin ist die Zielfällung, bei der ein Baum exakt so fallen muss, dass er einen fünfzehn Meter entfernten Zielpfahl trifft. „Jede Menge Erfahrung gehört dazu, um mit solcher Präzision zu arbeiten“, nickt Förster Thomas Miehler anerkennend. Er hat früher selbst bei solchen Wettbewerben an der Säge gestanden. Heute ist er Hauptschiedsrichter, und er hat, nach seiner Zeit als Waldarbeiter in Schweden, sogar eine Diplomarbeit über diese Berufswettbewerbe geschrieben.

Die Spitzensäger aus Schwaben sind von Beruf Förster, Waldarbeiter, Bauern mit eigenen Wäldern – und mit Leidenschaft huldigen sie „der Formel 1 der Waldarbeit“. So steht es auf den bunten Stickern, die sie an ihre Wettbewerbskleidung genäht haben. Die Sticker gehören genauso zur Ausrüstung wie Schutzkleidung, Schuhe mit Stahlkappen, Helm und Kettensäge.

Jetzt im Winter ist Trainingszeit, Vorbereitung für die Wettkämpfe, die im Frühjahr beginnen. Spätestens bis zum 5. und 6. März müssen sie für die ersten Vorausscheidungen fit sein. Auch die beiden Erfolgssäger aus Schwaben, der deutsche Meister und der deutsche Vizemeister, müssen sich die WM-Teilnahme erst in vielen Vorausscheidungen ersägen. Sie gehören zum 15-köpfigen Nationalteam und von diesen 15 Waldarbeitern qualifizieren sich nur drei für die jeweils aktuelle Nationalmannschaft.

Wie schwer das ist, demonstriert Wolfgang Heidemann draußen am Waldrand, auf seinem Trainingsplatz. Die orangefarbene Motorsäge in der Hand steht er drei Meter entfernt von den beiden auf- und abwärts gerichteten Baumgestellen mit dem blau gestreiften Baumstämmen. Leicht aus der Hocke heraus hört er das Kommando: „Säge starten! Auf die Plätze, fertig, los!“ Die Kettensäge heult auf, und Sekunden später sprühen die Späne nur so in den Himmel. Eine etwa fünf Zentimeter dünne Holzscheibe muss der Wettkämpfer möglichst schnell sägen – angesetzt wird von unten und von oben. Die beiden Schnitte müssen sich genau in der Mitte treffen. Gemessen wird von Schiedsrichter Miehler mit einem Präzisionswinkel. „Kombinationsschnitt“ heißt diese Disziplin. Besonders schwierig daran: Die beiden Stämme sind um jeweils sieben Grad geneigt, einer nach oben, der andere nach unten. Das erschwert den geraden Schnitt erheblich.

Vor sieben Jahren hat Miehler gemeinsam mit acht schwäbischen Waldarbeiter den Verein Waldarbeitsmeisterschaften Bayern 1996 e.V. gegründet, die viel beschworene „Formel 1 der Waldarbeiter“.

Wolfgang Heidemann hat eine weitere Wettkampfübung vorbereitet. Diesmal liegen zwei ebenfalls 35 Zentimeter dicke Baumstämme auf einem Brett am Waldboden, allerdings ohne farbliche Markierung. Die Disziplin heißt „Präzisionsschnitt“. Auch dieser Teil des Wettkampfes ist aus der Praxis heraus entstanden. Weil eine Kette sehr schnell stumpf wird, wenn man versehentlich in den Boden sägt, und weil ein Kettenwechsel Zeit kostet, darf der Waldarbeiter beim Zersägen des Baumes nicht in den Boden sägen.

Das Kommando zum Sägeanwerfen kommt. Heidemann rennt los. Diesmal beugt er sich mit dem Kopf über den Baumstamm, gerade so, als wolle er in den Stamm hineinhören. Höchste Vorsicht ist geboten, um sich bei diesem Schnitt nicht zu verletzen. Wird auch nur einen Millimeter in das unter dem Stamm liegende Holzbrett gesägt, gibt es einen Punkteabzug.

Nach dem Wettbewerb oder auch nach dem Training hallt ein dreifaches „Baum fällt!“ durch den Wald. Nicht selten ist der Ruf auch bei den äußerst zünftigen Holzhackerbällen nach den Wettbewerben zu hören. Zu den Sägeturnieren kommen inzwischen zigtausende Zuschauer. Bei der nächsten WM in Italien wollen die deutschen Sägemeister endlich den Hauptkonkurrenten aus Österreich, Holland, und Schweden den WM-Titel streitig machen. KLAUS WITTMANN