„Geist und Körper im Zwiespalt“

Die Bremer Künstlerin Anneli Käsmayr hat mit Kolleginnen das Restaurant „dreijahre“ gegründet: als künstlerische Arbeit. Das Gastronomische ist ihr fremd geblieben – ernst nimmt sie es dennoch. Ein Gespräch über die Grenzen zwischen Kunst und Alltag

ANNELI KÄSMAYR, 28, ist freie Künstlerin in Bremen und Mitbegründerin des Kunstprojekts „dreijahre“.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Warum ein Restaurant nur für drei Jahre?

Anneli Käsmayr: Weil es eine künstlerische Arbeit ist. Sie ist auf 1.095 Tage angelegt und es gibt eine Uhr am Tresen, die diese Tage rückwärts zählt. Ich glaube, wir sind jetzt bei 499, aber ich kann gleich noch einmal nachsehen.

Geht es bei dem Projekt um die Schönheit des Moments im Angesicht der Vergänglichkeit – in diesem Fall von drei Jahren?

Nein, überhaupt nicht. Es hat mich immer fasziniert, die Grenze zwischen Kunst und Alltag auszuloten. Daher kommt auch die Idee für das „dreijahre“: einen Raum zu schaffen, der begehbar und öffentlich ist, in dem ich sinnlich erleben kann und der zugleich an gewissen Punkten kippen könnte. Diesem Raum ist vorangestellt, dass es ein Kunstprojekt ist – das muss aber nicht für jeden wahrnehmbar sein.

Für wie viele Gäste ist es denn wahrnehmbar?

Viele sprechen uns darauf an, dass es irgendwie anders bei uns sei, obwohl sie das nicht näher benennen können.

Wo sind denn die Punkte, an denen es kippen könnte?

Ich möchte das gar nicht benennen: es geht mir nicht um Pädagogik, sondern darum, etwas anzuregen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die Tatsache, dass der Gast wahrnimmt, dass der Ort vergänglich ist, zu einer anderen Wahrnehmung führt. Ich glaube, dass das gleiche Konzept mit 20 Jahren zum Beispiel nicht funktionieren würde.

Warum gerade drei Jahre?

Wir Gründerinnen, das sind neben mir Jenny Kropp und Claudia Heidorn, fanden, dass drei Jahre überschaubar sind, es ist ein Zeitraum, in dem man sich gastronomisch etablieren kann, gleichzeitig aber einer, in dem es sich ökonomisch überhaupt nicht lohnt. Damit wird für die Leute nachvollziehbarer, dass wir hier nicht in erster Linie Geld verdienen wollen – wir wollen etwas anderes.

Wenn man Ihre Speisekarte liest, hat man das Gefühl, dass Sie das Gastronomische sehr ernst nehmen.

Es gibt jeden Donnerstag ein anderes 3-Gänge-Menü, auf der Wochenkarte stehen edle Dinge wie “Seeteufelcarpaccio mit Staudensellerie, Walnussmarinade und Salatbouquet“. Wir nehmen das in der Tat sehr ernst. Ich glaube, als Bistro würde das nicht funktionieren – das ist eine Speisewirtschaft und laut unserer Konzession müssen wir Speisen anbieten, die über Bier begleitende Speisen hinausgehen. Das macht es für mich auch besonders reizvoll: Wenn der Geist in Zwiespalt mit dem Körper gerät, wenn es um sinnliche Betörung geht. Als Teilnehmer dieses Menüs wanke ich zwischen „das schmeckt phantastisch, wie interessant“, und dem Geist, der sagt: „Wo ist eigentlich die Kunst?“ Und dann kommt der nächste Gang.

Sie haben auch ein literarisches Menü zum amerikanischen Schriftsteller Raymond Federman angeboten. Ging es dabei darum, diese Grenzen noch deutlicher zu machen?

Das war ein Projekt im Rahmen der donnerstäglichen Kochserie, an dem Tag hatte es der Bremer Textperformer Tim Schomaker übernommen. Es gab eine Lesung parallel zum üblichen Restaurantprinzip, unter anderem mit einem Text, in dem Nudeln eine wichtige Rolle spielen. Mit einer befreundeten Künstlerin erarbeite ich gerade ein Konzept, bei dem es darum geht, eine Vortragsreihe und ein Menü zu verknüpfen. Es gibt Forschungen zu der Frage, ob man besser lernt, wenn gleichzeitig bestimmte Rezeptoren stimuliert werden.

In einem Interview haben Sie gesagt, dass Ihnen das Gastronomische fremd geblieben sei.

Ich bin und bleibe natürlich Künstlerin und meine Motivation kommt aus dem Künstlerischen und nicht aus dem Gastronomischen. Ich glaube, dass es gut ist, dass mir die alltägliche gastronomische Arbeit fremd bleibt, weil es verhindert, dass das Projekt kippt und der Fokus verloren geht.

Und Sie nur noch gutes Geld verdienen wollen.

Was zur Überraschung aller nicht der Fall ist.

Dabei scheint es meist voll bei Ihnen zu sein.

Es ist oft voll, aber wir arbeiten auch sehr personalintensiv. Das hat auch damit zu tun, dass wir wollen, dass sich der Gast gut bedient fühlt. Oder Kleinkram wie Kerzen, schönes Licht, da addieren sich die reinen Betriebskosten ziemlich zusammen und auch was die Küche anbelangt, ist unser Preis-Leistungs-Verhältnis ziemlich gut. Ich bin keine Geschäftsfrau, ich weiß nicht, wann der Moment kommt, wo wir endlich Geld verdienen können. Ich weiß, dass viele meiner Künstlerkollegen auch von Hartz IV leben – aber strapaziös ist es trotzdem. Es ist sehr anstrengend, wenn man sieht, dass die eigene Arbeit einen nicht ernähren kann – das wollen wir unbedingt verändern.

dreijahre, Fehrfeld 58 / 59 in Bremen. Mo–Fr: ab 15, Wochenende ab 10 Uhr