Holzen für die Ski-Weltmeisterschaft

Garmisch-Partenkirchen bewirbt sich um die WM 2009 und hofft auf einen Wirtschaftsboom. Es könnte die letzte Chance des Wintersportortes sein: Prognosen zufolge steigt die Schneefallgrenze in den Alpen bis 2030 um durchschnittlich 300 Meter

Die Ratsherren opfern auch Hangwald, um den Kameraleuten besten Komfort zu bieten

VON ANNETTE JENSEN

Eine Ski-Weltmeisterschaft gilt vielen Alpengemeinden als wirtschaftliche Verheißung: Wenn die Spitzensportler fünf Tage lang die Hänge hinabjagen, taucht der Ortsname in jeder Nachrichtensendung auf. Auch Garmisch-Partenkirchen hofft auf diesen Effekt und bewirbt sich deshalb für die WM 2009.

Der Marktort verspricht sich eine Rundumerneuerung. Selbst die Stauprobleme, die man auch über eine privat finanzierte Straße nicht lösen konnte, will man nun über die WM loswerden: Die Gemeinde hofft, dass Umgehungsstraßen im Bundesverkehrswegeplan doch noch als vordringlich eingestuft werden, wenn der 28.000-Einwohner-Ort im Mai den Zuschlag für die WM erhalten sollte. Neue Hotels, eine größere Kongresshalle und zusätzliche Parkplätze sollen die lokale Wirtschaft anschubsen.

Dafür sind die Ratsherren auch bereit, ein paar Hektar Hangwald zu opfern, obwohl das einem Beschluss des bayerischen Landtags zuwiderläuft, der das Abholzen von Bergwald verbietet. Doch der für die WM-Austragung verantwortliche Skifahrtsverband FIS verlangt von den Bewerberorten zwei unabhängige Pisten, die am gleichen Ziel enden müssen – die Medien sollen nicht mehrfach mit den Kameras umziehen müssen.

Dass Gemeinden bereit sind, für das kurze Sportereignis sogar Teile eines Nationalparks zu opfern, hat der Austragungsort für die Ski-WM 2005 gerade vorgemacht: Im italienischen Valfurva im Veltlin wurden tausende Bäume gefällt. Nach einer Anzeige der Umweltschützer von Legambiente leitete die EU-Kommission im Januar ein Verfahren wegen Verletzung der Flora-Fauna-Habitat- und der Vogelschutz-Richtlinie gegen Italien ein. Möglicherweise muss das Gelände nun wieder aufgeforstet werden.

In Garmisch soll nach aktuellem Stand unmittelbar neben der bereits existierenden Kandahar-Abfahrt eine zweite Piste gebaut werden, wofür zwischen fünf und zehn Hektar freigeholzt werden müssten. „Wie bei jeder Rodung im Bergwald wird der Wasserabfluss sechs- bis achtmal so schnell werden“, kritisiert Förster Axel Döring, der sich im Bund Naturschutz und bei der internationalen Alpenschutzkommission engagiert. Zudem sei jede Schneise ein Angriffspunkt für Stürme. Immerhin ist es Umweltschützern in Garmisch gelungen, die ursprüngliche Planung zu verhindern, die eine neue Schneise quer durch unberührtes Waldgelände geführt hätte.

Möglicherweise kommt das Ende für Garmisch und viele andere Gemeinden als Wintersportort in den Alpen allerdings früher, als die gegenwärtigen Investitionen für neue Hotels und Lifts abgeschrieben sind. Nach einer Studie des Umweltprogramms der UNO steigt die durchschnittliche sichere Schneegrenze bis zum Jahr 2030 um 300 Meter an. In der Schweiz, wo heute 85 Prozent der Skigebiete als schneesicher gelten, werden es in 50 Jahren nur noch 44 Prozent sein.

Wolfgang Seiler, Professor am Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen, hält zwar nichts von verfrühten Unkenrufen, doch auch er geht davon aus, dass sich die zu erwartende Klimaerwärmung in den Alpen überdurchschnittlich bemerkbar machen wird: Statistisch steigt die winterliche Durchschnittstemperatur bis 2030 um 3 Grad im Vergleich zu 1990, die im Sommer um 2 bis 2,5 Grad. Ursache dafür ist eine Verschiebung der normalen Wanderwege von Tief- und Hochdruckgebieten. Im Winter wird sich der Einfluss des Islandtiefs nach Süden verschieben: Es bringt wärmere und feuchtere Luft vom Atlantik in die Alpen. Umgekehrt verlagert sich im Sommer das Azorenhoch nach Norden. Für die Alpen bedeutet das: trockene und warme Luft.

An den Gletschern als „Fieberthermometer“ der Region ist die Entwicklung schon lange abzulesen: Seit 1975 haben sie 20 bis 30 Prozent an Masse verloren. Allein im Hitzesommer 2003 schmolzen 5 bis 10 Prozent des Schweizer Gletschereises weg, der österreichische Pasterze-Gletscher hat 6,5 Meter an Dicke eingebüßt, berichtet Wolfgang Zängl vom Gletscherarchiv in München. Selbst 5 Meter Schnee im Winter könnten allenfalls 50 Zentimeter Eis zurückbringen.

Außerdem verschiebt sich die Grenze des Dauerfrostbodens nach oben. Das bringt nicht nur Gefahren durch Gerölllawinen. „In der Schweiz sind 300 Seilbahnen, Bergstationen oder Hochspannungsleitungen gefährdet, die noch auf Dauerfrostboden stehen“, berichtet Heike Aghte, Alpenexpertin des deutschen Naturschutzrings.

Banken interessieren sich für die Forschungsergebnisse, weil sie Kredite nur in aussichtsreiche Tourismusgebiete stecken wollen. Auch die Versicherungen sind hellhörig: Die Forscher prognostizieren eine Zunahme von Stürmen und Überschwemmungen. Doch die Lokalpolitiker wollen es lieber nicht so genau wissen. Und in Garmisch-Partenkirchen glaubt man in puncto Zukunft des Tourismus sogar, einen entscheidenden Vorteil zu haben: Die Kandahar-Piste liegt immerhin am Nordhang.