Der Reporter und der Widerspruch

Er ist der deutsche Tote eines Krieges, der gerade zu Ende geht. In der Münchner Residenz nehmen Familie, Freunde und Kollegen Abschied vom getöteten Reporter Christian Liebig – und die Frage bleibt, ob es das richtige Leben am falschen Ort gibt

aus München JÖRG SCHALLENBERG

„Ich bin so happy. Ich bin genau am richtigen Ort.“ Das sind die Worte, die Ulrich Schmidla immer noch im Ohr klingen. Worte, die ihm Christian Liebig über das Satellitentelefon zugerufen hat, wenige Tage bevor der Focus-Reporter bei einem irakischen Raketenangriff kurz vor Bagdad getötet wurde. Schmidla hat ihn dort hingeschickt. Er ist Leiter des Auslandsressorts bei Focus, er hat Liebig ausgewählt, als klar war, dass das Münchner Magazin einen „embedded correspondent“ bei den US-Streitkräften im Irak mitschicken konnte. Jetzt steht Ulrich Schmidla am Rednerpult im festlich erleuchteten Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz und kämpft mit seinen Tränen.

Vor ihm sitzen gut 500 Trauergäste, die Abschied nehmen von Liebig, der am vergangenen Montag starb. Eines wissen sie alle: Der Reporter war in jenem US-Camp kurz vor Bagdad am falschesten Ort, an dem er nur sein konnte. Aber er wollte dorthin. Er wollte unbedingt. Das sagen sein Chef, seine Eltern, seine Freunde. Christian Liebig, 35, war ein Reporter aus Berufung. Er hatte für die Nachrichtenagentur AP und für Focus bereits aus Somalia, Äthiopien, Sudan und dem Kosovo berichtet. Einige Texte von ihm, die in der Residenz vorgelesen werden, zeigen, dass Liebig ein Beobachter und Beschreiber war, der auch unter die schrecklich faszinierende Oberfläche von Hunger, Elend und Krieg zu gelangen vermochte.

Vieles, was sonst in den Reden dieses Vormittages über ihn gesagt wird, zeichnet verblüffend übereinstimmend das Bild eines Reporters, der kein Abenteurer war, aber dennoch das Abenteuer gesucht hat, um darüber zu berichten. Man hört aus den Reden, dass Christian Liebig ein ehrgeiziger Journalist war, der nicht an seinem Schreibtisch versauern wollte. Er war niemand, der sich an vorderster Front bewähren wollte, wohl aber kurz dahinter – genau das wurde ihm zum Verhängnis.

Geht man über die konkrete Situation des Raketenangriffs am Nachmittag des 7. April hinaus, dann gelangt man sehr schnell in den unauflösbaren Widerspruch jedes Kriegsberichterstatters. Hans Liebig, der Vater des Reporters, sagt, dass sein Sohn „das kalkulierbare Risiko innerhalb des Berufes“ gesucht hat – so etwas aber gab es in der vergangenen Woche am Stadtrand von Bagdad nicht. Es ist eine Einbildung, eine Konstruktion. Und deshalb schweben auch über dieser leisen, unpathetischen Trauerfeier die unausgesprochenen Fragen: War es das wert? Kann man als fest in der Armee einer Kriegspartei eingebundener Journalist wirklich so viel Richtiges und Wichtiges über den Krieg berichten, was sonst nie geschrieben würde?

Nur Helmut Markwort, Chefredakteur des Focus, versucht bei der Trauerfeier eine Antwort – und vergreift sich, vielleicht aus seiner Betroffenheit heraus, völlig im Ton, wenn er die Kritik von „Schreibtischtätern und Studiohengsten“ am Prinzip des „embedded correspondent“ barsch zurückweist. Wer nicht dort war, soll den Mund halten, heißt das wohl – es bleibt der einzige Misston an diesem Tag.

Von der „Sinnlosigkeit dieses Krieges“ spricht zum Schluss Beatrice von Keyserlingk, Liebigs Freundin. Sie hat ihre große Liebe verloren, Liebigs Eltern das einzige Kind. Als alle hinausgehen, halten sich draußen seine Freunde gegenseitig fest und weinen. War es das wert? Als Journalist kann man sich diese Frage wohl nur beantworten, wenn man darüber nachdenkt, ob man selber gegangen wäre, in dem Bewusstsein, eine vom Militär stark begrenzte Wahrheit vermitteln zu können. Eher nicht. Und vielleicht doch.