Schaurige Cocktails

Norweger zum Anfassen: Kaizers Orchestra feierten am Freitag im Postbahnhof eine heftige Familienfete

Schön war’s, das 91. und letzte Konzert von Kaizers Orchestra in diesem Jahr, wenn auch nicht ganz so bombastisch wie vorherige Auftritte der norwegischen Indie-Rock-Band. Kaizers Orchestra, das sind die fünf gutaussehenden Norweger mit der 60er Jahre Tischlampe, dem Harmonium und den Ölfässern auf der Bühne; die mit der Musik zwischen Rock, Punk, Gypsy und Tom Waits; die, die den Anspruch haben, die beste Live-Band der Welt zu sein.

Aber was ist mit den Texten? fragt die Skandinavistin. Die Texte verhandeln die großen düsteren Themen: Tod und Teufel, Krankheit und Verbrechen. „Die Lieder funktionieren wie die Filme von Tarantino und Kusturica“, erklärt Sänger und Texter Janove Ottensen vor dem Konzert im Postbahnhof, „viel Gewalt und man muss trotzdem lachen.“ Wenn Janove in „Delikatessen“ davon singt, wie irgendwelche verbotenen Dokumente über irgendeine Grenze geschmuggelt werden, oder in „KGB“ von seiner neuen Arbeit beim russischen Geheimdienst, dann hat das rein gar nichts mit Politik zu tun. „Es geht um Bilder, die mit bestimmten Schlagworten heraufbeschworen und dann durch die Musik ad absurdum geführt werden“, sagt er. Im lustigen Ska-Rhythmus davon zu singen, wie jemandem der Hals umgedreht wird, das hat schon was.

Erstaunlich ist, dass viele ihrer Zuhörer kein Wort norwegisch können und trotzdem füllen Kaizers Orchestra regelmäßig die Konzertsäle in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Vielleicht ist es der Klang dieser Sprache, die irgendwie klingt wie unsere aber auch wieder gar nicht. Das macht nur einen zusätzlichen Reiz der Musik aus und steigert das Mysterienhafte der Performance, die manchmal anmutet wie ein Jahrmarktspektakel aus dem 19. Jahrhundert.

Ihre ersten drei Platten waren Konzeptalben, auf denen sich die Musiker als Insassen einer Irrenanstalt und Mitglieder einer Mafia-Familie unter dem Kommando des imaginären Paten Dieter Meyer inszenierten. Auf ihrem vierten Studioalbum „Maskineri“ (Februar 2008 Sony BMG) haben die sechs sich sozusagen von ihrem Paten emanzipiert. Krude bleiben die Songs trotzdem. Aber schließlich geht es ja vor allem um die Performance.

Letzten Freitag holten sie eine junge Frau auf die Bühne, die jeden der sechs Musiker mal anfassen darf. Kaizers Orchestra inszenieren den Abend als große Familienfeier, sie spielen neue und alte, langsame und schnelle Lieder, dazwischen wird viel erzählt, und als Janove bei „Min kvite russer“ das Publikum dazu bringt, den fremdsprachigen Text als Kanon mit der Erhabenheit eines Trauergesangs zu intonieren, läuft auch der Skandinavistin ein Schauer den Rücken hinunter, obwohl das Lied (zu deutsch: „Meine weißen Russen“) eigentlich von Cocktails handelt. LEA STREISAND