Ein Leisetreter führt ein lautes Land

Olusegun Obasanjo war Kriegsheld, Diktator und politischer Häftling. Jetzt hat Nigeria ihn als Präsidenten wiedergewählt

Er tritt klein und unscheinbar auf, zurückhaltend und nachdenklich. Olusegun Obasanjo, alter und neuer Präsident Nigerias, passt scheinbar gar nicht zu seinem chaotischen Land. Der Wahlsieger muss nun aufpassen, dass die Probleme seines verarmenden und zunehmend regional gespaltenen Landes ihm nicht über den Kopf wachsen.

Obasanjo hat seinen Stil, um mit Problemen unzugehen. Bereits zu britischen Kolonialzeiten ins Militär eingetreten und 1961 als UN-Blauhelmsoldat im Kongo stationiert, war er Chef der nigerianischen Marinedivisionen, die 1967–70 die Sezession des südöstlichen Igbo-Volkes in einem eigenen Staat „Biafra“ beendeten. Es war ein Krieg nach dem Geschmack Obasanjos: Erst gab es hunderttausende Tote – hinterher proklamierte die siegreiche Armee das Motto „Kein Sieger, keine Besiegten“ und vermied jeden Triumphalismus. Wir sind alle Nigerianer, hieß es – eine Losung, die umso einfacher war, als das Land damals von einer glorreichen Zukunft als Ölexporteur träumen konnte.

Als Korruption und Willkürherrschaft diese Zukunftshoffnung zerschlugen, tat Obasanjo das Seine dazu, um noch etwas zu retten. 1976 nach der Ermordung seines Vorgängers selbst Militärdiktator geworden, führte er Nigeria drei Jahre später in die Zivilherrschaft – eine kurzlebige Demokratie, die 1983 durch Putsch beendet wurde. In den finsteren Zeiten der Diktatur Sani Abachas 1993–98 kam er ins Gefängnis, was ihn gesundheitlich schwer mitnahm.

Als Abacha 1998 starb und die nunmehr vollends diskreditierten Militärs die Rückkehr zur Demokratie organisierten, war Obasanjo der ideale Kompromisskandidat jener Elitekreise, die sich gegen Ende der Abacha-Herrschaft als Opposition zusammengetan hatten und danach die „Volksdemokratische Partei“ (PDP) gründeten: Glorreicher General; politischer Gefangener; Angehöriger des von den Militärs besonders stark unterdrückten Yoruba-Volkes aus Nigerias Südwesten um Lagos; wiedergeborener Christ aus der Baptistenkirche; führende Figur der internationalen Antikorruptionsbewegung „Transparency International“ – manche seiner Anhänger verglichen Obasanjo damals sogar mit Nelson Mandela. Gefördert vom mächtigsten und reichsten der Exdiktatoren, Ibrahim Babangida, gewann Obasanjo 1999 als PDP-Kandidat Nigerias erste freie Wahlen.

Seitens der Demokratiebewegung hieß es damals: Wir akzeptieren Obasanjo – als Übergangspräsidenten. Bei der nächsten Wahl 2003 steht der Generationen- und Politikwechsel an. Daraus ist nichts geworden. Die PDP ist zum Blockierer einer politischen Erneuerung Nigerias jenseits der Abschaffung der Diktatur geworden. Eine neue Verfassung hat Nigeria nicht bekommen, die überfällige Diskussion um eine Neugliederung des Vielvölkerstaates und eine Neuverteilung der Öleinnahmen ist ausgeblieben. Politische Gewalt nimmt zu. Gegen die Einführung der islamischen Scharia im Norden des Landes durch seine Gegner unternahm Obasanjo nichts – gegen protestierende Bewohner der Ölfelder ging er mit Militäreinsätzen vor. „Wir haben das Ausmaß der Beschädigung des Landes unterschätzt“, rechtfertigte Obasanjo sich bei seiner Nominierungsrede für die jetztzige Wahl. Die Bürger haben ihm nun eine zweite Chance gegeben. Es dürfte für den 66-Jährigen die letzte sein. DOMINIC JOHNSON