Größter Neinsager sagte zu

Entwarf ein unvergleichliches Bestiarium der Hippiezeit: Der Zeichner Robert Crumb musiziert heute mit seiner Familie und präsentiert morgen im 3001 Terry Zwigoffs Doku „Crumb“

von VOLKER HUMMEL

Robert Crumb kommt nach Hamburg. Ein Glückwunsch an den Menschen, dem es gelungen ist, einem der größten Neinsager der Kunstgeschichte ein Ja zu entlocken. Wer Terry Zwigoffs Doku Crumb gesehen hat, weiß um die Berührungsängste des Zeichners, seine Schüchternheit und seinen schon heroisch zu nennenden Selbsthass, aus dem sich viele seiner besten Comicstrips speisen. Zwigoffs Film zeigt die vielen Gesichter des Robert Crumb, lässt Bewunderer wie den Time-Kunstkritiker Robert Hughes zu Wort kommen, der ihn mit Bruegel und Goya vergleicht – wie auch kritische Stimmen zu Crumbs Frauenfeindlichkeit.

Interessanter als diese Standardfloskeln vieler Künstlerdokus sind die autobiographischen Abgründe, in die Zwigoff hineinblickt. Crumbs ältester Bruder Charles thront wie ein depressiver Buddha im Hause seiner Mutter, das er seit Jahren nicht verlassen hat, und murmelt mit bitterem Lächeln vom sadistischen Vater und einem nicht existenten Sexleben. Dem jüngeren Bruder Maxon begegnen wir auf einem Fakirbrett sitzend, wie er auf einem endlosen Seil kaut, das seine Eingeweide reinigen soll, und Anekdoten von Chinesinnen erzählt, denen er im Kaufhaus die Höschen runtergezogen hat. Die Mischung aus selbstzerstörerischem Hass und Selbstironie scheint in der Familie zu liegen.

Anders als seine beiden Brüder schaffte es Robert Crumb Mitte der 60er Jahre jedoch, mit Hilfe seiner Comics den Pathologien seines Alltags eine verwertbare Form zu geben. Wie er im Film erklärt, beschloss er nach Ablauf seiner Highschool-Zeit, durch Comics berühmt zu werden, damit die Frauen endlich auch bei ihm Schlange stehen. Ein Plan, der wunderbar funktionierte.

Crumbs Eintrittskarte in die Welt des Comic-Undergrounds war Fritz the Cat. Nachdem er seit 1962 für eine Firma in Cleveland, die Grußkarten herstellte, sein erstes Geld durch eigene Zeichnungen verdient hatte, sandte Crumb ein paar Strips mit dem Schmuddelkater, an den von ihm bewunderten Zeichner Harvey Kurtzman, damals Herausgeber des Comicmagazins Help! in New York. Kurtzman gefiel, was er sah, und Crumb zog nach New York. 1965 dann brachte Crumbs erster LSD-Trip eine zugleich mystische und künstlerische Offenbarung. Fortan fühlte er sich dem Zwang enthoben, seine Zeichnungen dem Leben abzuschauen, und entwarf ein unvergleichliches Bestiarium der Hippiezeit.

Die späten 60er und frühen 70er Jahre machten Crumb berühmt. In dieser Zeit erfand er seine bekanntesten Figuren, beispielsweise Mr. Natural, den gut gelaunten Hippie-Guru, der sich fortwährend von greinenden Großstadtneurotikern wie Shuman the Human und Flakey Foont verfolgt sieht. Doch obwohl seine halluzinogenen, schmutzigen Zeichnungen bald Plattencover von Janis Joplin und die Straßenwände von San Francisco schmückten, blieb Crumb ein konsequenter Verweigerer, vor dessen Verachtung auch die Blumenkinder keine Gnade fanden.

Crumb besitzt die seltene Gabe, Geld und Ruhm ein herzhaftes „Fuck You!“ entgegenzuschleudern. Ein wahrer Nachfahre von Melvilles Schreiber Bartleby, der jede Anfrage mit „Ich möchte lieber nicht“ beantwortet, reagiert Crumb auf die Verlockungen eines jeden von ihm porträtierten Jahrzehnts mit einer geballten Ladung schraffierter Häme. Nur eine Leidenschaft scheint sich der Mann neben dem Zeichnen über die Jahre bewahrt zu haben: die für seine Sammlung alter 78er-Platten aus den 20er Jahren. Doch wie der Titel eines Crumb-Essays offenbart, ist auch diese Vorliebe eine Form der Verweigerung: „To Be Interested in Old Music Is to Be a Social Outcast“.

Umso wunderbarer, dass er nun wirklich kommt. Der „Bruegel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (Robert Hughes), Mr. Selbsthass höchstpersönlich, das Chauvi-Schwein mit dem größten Gemächt in der Geschichte des Comics, Erfinder und Mörder von Fritz the Cat, Mr. Unnatural himself, Robert Crumb kommt. Und er bringt seine Familie mit nach Hamburg: Frau Aline spielt Violine, Tochter Sophie Keyboard und der Meister selbst hat Banjo und Mandoline im Gepäck. Wer keine Karte hat, schwingt das Tanzbein eben unter freiem Himmel in den Colonnaden, wenn dort alte Blues-, Jazz- und Bluegrass-Schmankerln aus den 20er Jahren heraufbeschworen werden.

Ein Abend mit der Crumb-Familie (ausverkauft!): heute, 20 Uhr, Zweitausendeins-Laden, Colonnaden 9; Terry Zwigoffs „Crumb“: morgen (in Anwesenheit von Robert Crumb), 25. + 26.4., jeweils 22.30 Uhr, 3001