Die Wahrheit schlägt zurück

Der FC Barcelona scheidet im Viertelfinale der Champions League gegen Juventus Turin aus und muss dabei schmerzhaft erkennen, dass er in diesem Jahr höheren Ansprüchen nicht genügen kann

aus Barcelona RONALD RENG

Stille kann schreien, Farblosigkeit ist schrill, Leere hat Gewicht. Man brauchte nur in Roberto Bonanos Gesicht zu schauen. Da war alles. Dort war vor allem eines: nichts. Der Schlusspfiff war schon lange vorbei, aber der Torwart des FC Barcelona schlich noch immer durch die Dienstagnacht und die Katakomben des Stadions Camp Nou, als sei ihm ein Gespenst begegnet. Die Leute machten ihm voreilend Platz, denn sie wussten, was Bonano widerfahren war: Er hatte die Wahrheit gesehen.

Solange diese Fußballsaison schon dauert, so lange hatte der FC Barcelona die Realität immer wieder verdrängt, Haken um sie geschlagen, sich ihr verweigert. Doch am Dienstag dann schlug ihnen die Wahrheit brutal ins Gesicht. Es gab kein Ausweichen mehr, noch nicht einmal ein Abfedern, nach dem 1:2 nach Verlängerung gegen den italienischen Meister Juventus Turin, dem Aus im Champions-League-Viertelfinale, schrie es die Stille in die Nacht: Sie sind dieses Jahr einfach nicht gut genug.

„Wir haben einen Traum verloren“, sagte Bonano. Doch war es in Wahrheit nicht schon lange nur noch eine Illusion? Die erfolgreichen Auftritte im Europapokal, wo Barca bis zum Dienstag von 15 Partien keine einzige verloren hatte, waren nichts als Fata Morganen gewesen. Als Tabellenzwölfter, mit sagenhaften 24 Punkten Rückstand auf den Ersten Real Madrid, krebst der 16-malige spanische Meister durch die nationale Liga. Die Mannschaft ist dank einer naiven Transferpolitik defensiv krass unterbesetzt, zu viele vermeintliche Führungsspieler sind auf der Suche nach der Form, wie etwa der ehemalige Münchener Andersson, oder haben nur die Kraft für Klasse in kurzen Phasen, wie Overmars und Enrique gegen Juventus nachhaltig bewiesen. Und der Klub ist mit offiziell 44 Millionen Euro Schulden, aber ohne gewählten Präsidenten quasi handlungsunfähig. Doch sie haben nur die Champions League gesehen, sie haben gedacht, sie könnten sie wirklich gewinnen und alles wäre gut. Man könnte über ihre Naivität lächeln. Doch den meisten, die in der Dienstagnacht zusahen, war eher zum Fluchen zumute.

Hart knallte die Wahrheit auch all jenen ins Gesicht, die naiv genug waren zu glauben, erfolgreicher Fußball sei im 21. Jahrhundert immer auch mutig und elegant. Die Spaßverderber sind zurück. Mit diesem schrecklichen Pragmatismus, der den italienischen Fußball schon seit Jahrzehnten prägt, erreichte Juventus genauso wie Inter Mailand, das im anderen Duell vom Dienstag den FC Valencia mit 2:1 ausschaltete, das Halbfinale. Seit Ajax Amsterdam beim Gewinn der Champions League 1995 mit seinem schonungslos offensiven Spiel ein Signal setzte, schien die Übermacht des skrupellos erfolgsorientierten italienischen Fußballs gebrochen. Manchester United, Leeds, Arsenal; Real Madrid, Deportivo La Coruña, Barcelona; Dynamo Kiew, Bayer Leverkusen und, zumindest ansatzweise in den Jahren 98/99 und 99/2000, auch Bayern München – es waren die Mannschaften, die nicht nur gewinnen, sondern auch spielen wollten, die den Europacup zunehmend prägten. Als der AC Mailand zu Beginn dieser Saison plötzlich betörende Fantasie in sein Spiel mischte, sah es so aus, als würden selbst aus den italienischen Zynikern tatsächlich Romantiker. Welch ein Trugschluss, welch eine Enttäuschung. Milan spielt längst wieder seinen schematischen Stiefel, und diese sterile Passivität, dieses aufreizende Sichbeschränken auf ein paar Gelegenheiten, mit denen sich Inter sowie Juventus am Dienstag durchsetzten, trieb einem die Wut ins Gesicht; die Wut der Machtlosen. Sieger haben immer Recht.

„Ich weiß, wir waren nicht spektakulär, aber wo ist das Problem?“, sagte Juves Trainer Marcello Lippi. „Das Entscheidende sind nicht die Torchancen, die du hast, sondern die des Gegners, die du nicht zulässt.“ Sie erstickten Barcas Dominanz mit einigen überragenden Individualisten wie Rechtsverteidiger Lilian Thuram, vor allem aber mit einer exzellenten Staffelung ihrer Reihen in der eigenen Spielhälfte. Zwei schnelle Konter, zwei Tore – durch Pavel Nedved und sechs Minuten vor Ende der Verlängerung durch Marcelo Zalayeta – genügten, der zwischenzeitliche Ausgleich durch Xavi Hernández blieb wertlos. „Es war ungerecht, es war grausam“, sagte Barcas Trainer Antic.

Was bleibt, wurde Antic gefragt, und wusste selber: Für Barca bleibt nichts, vermutlich werden sie sich noch nicht einmal für den Uefa-Cup qualifizieren und der Trainer zum Saisonende schon wieder gehen müssen. „Was bleibt?“, fragte Antic zurück: „Das Aufstehen morgen früh.“ Torwart Bonano stapfte vorbei, und man ahnte, was für ein Morgen das für ihn werden würde.