berliner szenen Sauerkraut und Bohnen

Lesung in der Akademie

Akademie der Künste: Wie lange denn die Lesung dauern wird, fragt ein Mann im Foyer den anderen. Das sei ja schon ein recht dickes Buch, erwidert der. Aber, hofft der erste, es werde doch hoffentlich nicht jeder der drei Vorleser das komplette Buch vorlesen. Sie sind sich einig: Das ist nicht zu befürchten. Im mit circa 300 Zuschauern voll besetzten Saal raunt es durch die Menge: „Das ist der Sohn!“

Punkt 20 Uhr betreten vier ältere Herren die Bühne: Vicco von Bülow alias Loriot, Norbert Miller und Peter Wapnewski, Applaus. Der Präsident Adolf Muschg spricht Begrüßungsworte: „Liebe Hildegart Baumgart, liebe Freunde Reinhard Baumgarts“, im letzten Jahr sei der Autor kurz nach Vollendung seiner Autobiografie gestorben, „Ich darf Sie bitten zu lesen!“ Beifall.

Von Bülow beginnt: Sauerkrautfässer im Keller, Ölgerüche der Druckerei, Sauerteig und Vanilleeis. Aufbahrung eines DKW-Besitzers in der Garage vor einer Ehrenwache aus SA-Männern. Dann liest Norbert Miller über die Hitlerjungenzeit des Autors, die Gründung des Bundes Deutscher Westmänner BDW, Bromberger Blutsonntag, er verstehe diesen früheren Verwandten nicht, er kann ihn nur aufschreiben. Schließlich Peter Wapnewski: die Flucht nach Westen. Dresden leuchtet in der Erinnerung immer noch, bebt und brennt im größten Bombenangriff zwischen dem Hamburger Feuersturm und Hiroschima.

Gegen 22 Uhr wird das Publikum ungeduldig, eine Frau ruft: „Jetzt reicht’s aber!“, auf der Bühne geht es um Habermas, Wagner und Adorno. Die ersten verlassen den Saal. „Einmal noch!“, sagt von Bülow, Gelächter. Den Abschluss bildet eine Passage über das Liegen in der Sonne am Heiligen See, 70-jährig und wie außerhalb der Zeit. FALKO HENNIG