Gut zu wissen
: Betreuter Urlaub hilft pflegenden Angehörigen von Demenzkranken

Auszeit vom Chaos

epd ■ Evelyn Manthey streckt langsam ihre Glieder, schließt die Augen und genießt die Sonne. Vor ein paar Tagen war die 70-jährige Bremerin noch am Rand der totalen Erschöpfung. Die Pflege ihres dementen Mannes hatte sie vollkommen fertig gemacht. Jetzt schöpft sie im Ostseebad Boltenhagen neue Kraft – während eines betreuten Urlaubs des Alzheimer-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern für pflegende Angehörige.

Es begann vor etwa vier Jahren, als ihr Mann Rudolf die Kartoffeln nicht mehr nach Augenmaß setzte, sondern mit dem Zollstock einpflanzte. Er sagte stets das Gegenteil von dem, was er tat. „Zuerst haben wir beide noch herzhaft gelacht“, sagt Manthey. Doch als ihr Mann mit dem Auto in den Gegenverkehr steuerte, als sein Schlafrhythmus nicht mehr funktionierte und sie ihn in der Nacht bis zu siebenmal suchen musste, war es mit dem Lachen vorbei. Mehr und mehr beherrschte das Chaos den Alltag der Mantheys, bis der Arzt vor etwa zwei Jahren Demenz vom Alzheimertyp diagnostizierte: Schleichend sterben Gehirnzellen. Das warf den 77-jährigen Ex-Forstrat geistig in die Kindheit zurück. Der Freundeskreis schrumpfte. „Manchmal dachte ich schon, ich werde selbst verrückt!“, sagte Manthey.

„Diese Situation ist typisch für pflegende Angehörige“, sagt Pflegeexpertin Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA). Die Zahl der dementen alten Menschen in Deutschland schätzt sie auf knapp eine Million. Zwei Drittel werden in den Familien gepflegt. Ein 24-Stunden-Job. Trotzdem nutzen Angehörige selten die Chance zu einem Kurzzeiturlaub. „Das ist eine emotionale Zerreißprobe verbunden mit der Angst, dass es dem Betroffenen nach der Kurzzeitpflege schlechter geht, weil er seine gewohnte Bezugsperson verliert“, sagt Sowinski.

Um das zu verhindern, können Pflegende in Boltenhagen östlich von Lübeck zusammen mit ihren Angehörigen zehn Tage Urlaub machen. Ehrenamtliche Pflegekräfte und Praktikantinnen entlasten die Angehörigen tagsüber. Während die verspannte Schulterpartie von Evelyn Manthey mit Massage gelockert wird oder die Bremerin den Stadtbummel genießt, organisiert Altenpfleger René Saschenbrecker für den kranken Mann Gedächtnistraining, Krankengymnastik oder Spiele. Erfolgreich sind oft auch Ausflüge an den Strand. Sie wirken aggressivem Verhalten und depressiven Gemütslagen entgegen – und machen müde.

Um Angehörige zu unterstützen, hat die Bremer Demenzexpertin Sabine Greulich jetzt einen Katalog mit Angeboten zum Kurzurlaub zusammengestellt. Sie weist darauf hin, dass die Pflege- und Betreuungskosten im Urlaub in der Regel durch die Kurzzeit Pflegekasse übernommen werden. Der Katalog ist zu beziehen unter 0421-23 71 21.