Bekämpfen, nicht verbieten

Die Forderung nach einem Verbot von Kopftüchern ist verständlich – aber eine politische Kleiderordnung widerspricht unseren Prinzipien

Die Zeiten, als das Abendland noch christlich-patriarchalischer war, liegen noch nicht lange zurück

Von meiner Gefühlslage her kann ich es mit der sehr geschätzten Viola Roggenkamp und ihrem Wutausbruch (Schlagloch vom 11. 2. 2004) jederzeit aufnehmen: Ich nehme täglich Anstoß an Kopftüchern – mal nur gebunden, mal fest gesteckt – und vielen bodenlangen, unförmigen und farblosen Mänteln, die mir an Geschlechtsgenossinnen in Berlin-Kreuzberg oft begegnen.

Man wird es mir als eurozentrische Arroganz, als Verachtung fremder Kultur, wohl gar als Xenophobie auslegen, wenn ich zugebe, dass mir Frauen und Mädchen Leid tun, die hier und heute noch glauben, mit dieser Kleiderordnung ihre Tugendhaftigkeit darstellen zu müssen. Aber: Wenn ich diese Frauen sehe, sehe ich keine Individuen, keine Personen, sondern den weiblichen Körper als Schirm ethischer und politischer Projektionen seitens einer patriarchalischen Religion, als die der Islam genauso gelten muss wie die ihm verwandte jüdische oder christliche.

Im Unterschied zu Letzteren erlebte der Islam aber keine Reformationen, und die Gesellschaften, in denen er vorherrschte, beschritten – mit Ausnahme der Türkei – nicht den Weg, an dessen vorläufigem Ende der demokratische National- und Rechtsstaat, der Glaube an Grund- und Menschenrechte und ganz zuletzt der an die Gleichberechtigung der Frauen ohne Wenn und Aber stand. Aber: So lange zurück liegen jene christlich-abendländisch und ebenfalls patriarchalisch geprägten Zeiten für heute lebende Frauen nicht, als dass sie nicht für drohende Verletzungen empfindlich und wegen ostentativer Zurschaustellung weiblicher Unmündigkeit wütend machen würden. Sehr wütend!

Auch wenn ich mich anders entschieden habe als Viola Roggenkamp und den Aufruf der grünen Integrationsbeauftragten bei der Bundesregierung, Marieluise Beck, der langjährigen Berliner Ausländerbeauftragten, Barbara John, und Rita Süssmuths als der Vorsitzenden des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration gegen eine Lex Kopftuch unterstütze – ihre Wut und Erbitterung ist auch meine. Bei einer Rundfrage unter Freundinnen und Bekannten habe ich nur zwei gefunden, die anders empfanden:

Eine junge Frau mit türkischen Wurzeln hält das Kopftuch als Einstieg in eine Grundsatzdebatte für etwa so geeignet wie Bärte im öffentlichen Dienst. Die andere ist überzeugt, dass wir es uns leisten können, Kopftücher zu ignorieren. Gesetze, die uns vor fundamentalistischen Missionarinnen schützen, gebe es genug. Die Frau ist berufstätig, zieht drei kleine Mädchen groß und denkt auf eine inspirierende Weise praktisch.

Es wäre wirklich gescheiter gewesen, wenn Frau Schavan Frau Ludin – diesen beiden Damen verdanken wir ja das ganze Desaster – nach erfolgreichem Studium und absolviertem Referendariat nicht wegen des Kopftuchs von der Übernahme in den Schuldienst ausgeschlossen hätte. Man hätte dann gesehen, wie sie mit Kollegen, Kindern und Eltern zurechtkommt – und ob sie im Hinblick auf Lehrplan und Schulleben so aus der Reihe tanzt, dass eine Verbeamtung nicht in Frage kommt. Eher schon die Entlassung.

Im einen Fall wäre das Kopftuch und die dahinter stehende Überzeugung einer Lehrerin wünschenswert trivialisiert, als private Schrulle respektiert und abgebucht worden. Im anderen Fall wäre man Frau Ludin losgeworden, ohne dass sie ein Grundrecht, an das sie so wenig wie irgendein Gläubiger wirklich glaubt – das Recht auf Religionsfreiheit und auf Freiheit von Religion –, hätte in Anspruch nehmen, ja quasi gegen Frau Schavan verteidigen können.

Alle anderen weiblichen Testpersonen aus meiner Umgebung sind wegen des Kopftuchs an einem weiblichen Lehrkörper so wütend, dass sie gar nichts dagegen haben, plötzlich mit Roland Koch in einem Boot zu sitzen: Den meisten reicht das Verbot des Lehrerkopftuchs nicht, sie wollen es nach französischem Vorbild auch gleich den Schülerinnen untersagen. Der Nachteil eines ordentlichen Staatswesens ist es eben, dass es in der Fantasie der Bürger bei Notfällen zum Terminator werden soll.

Meine klugen Freundinnen schwelgen also in Grundsatzdebatten und setzen auf Papa Staat. Was für Motive stecken hinter diesem Radikalismus, den die Männer nach meiner Beobachtung nicht teilen? Wir sind wohl enttäuscht: Die weibliche Freiheit, die den Migrantinnen in Deutschland geschenkt wird, kann von ihnen erst in Jahren, vielleicht Jahrzehnten realisiert werden. Wir lesen über die Burka in Afghanistan und das Terrorregime der Taliban gegenüber den hilflosen, hungernden Frauen. Wir haben überhaupt den Eindruck, dass der Islam unseretwegen und um den Standards der Vereinten Nationen zu genügen enormen Nachholbedarf hat. Und dann werden wir mit Frauen konfrontiert, die im Namen dieses Glaubens ein Kopftuch tragen wollen und – wie Frau Ludin – bereit sind, dafür meilenweit zu gehen …

Als Frau ist man also in der blöden Situation, Frauen Solidarität und Mitgefühl anzudienen, die dies scheinbar gar nicht gebrauchen können. Denn die muslimischen Frauen – eine verzwickte Folge der Rezeption des Feminismus und der Reaktion des islamischen Patriarchats auf die europäische Gesellschaftsordnung – haben gut verstanden, welche Chancen ihnen der Kulturkonflikt bietet. Sie können an Konzepte der Emanzipation hier als ehrgeizige Frauen von dort anknüpfen – und doch in der patriarchalischen Tradition verharren. Das nenne ich über Bande spielen!

Das Kopftuch macht Frauen so wütend, dass sie nichts dagegen haben, mit Roland Koch in einem Boot zu sitzen

Außer dem Hin-und-Hergerissensein, das die Kopftuchdebatte in jeder unter Schmerzen emanzipierten Frau trotzdem auslöst, interessiert natürlich, dass sie einen Pfropf beseitigt zu haben scheint, der die Gefühlslage der deutschen Gesellschaft hinsichtlich der islamischen Migranten bisher verschlossen hat. Das Zuwanderungsgesetz war offenbar eine allzu spröde Materie, um Affekte öffentlich zu machen, die gewisse Sitten und Gebräuche von Leuten mit fremden Wurzeln eben nicht nur bei Rechtsradikalen oder allzu sensiblen Feministinnen auslösen.

Warum habe ich aber, schlussendlich, den Aufruf von Beck et al. unterstützt? Frauen, die über einschlägige Fachkenntnisse verfügen – und solche sind Beck, John und Süssmuth –, bringe ich Vertrauen entgegen. Ihre Pragmatik kann ich mittragen, seufzend auch das neue Plädoyer für „Religiöse Vielfalt“, ein Titel, der den ersten antietatistischen Teil ihres Appells „Wider eine Lex Kopftuch“ leider ersetzt hat.

Mein eigentlicher Vorschlag zur Lösung des Problems lautet jedoch noch einmal ganz anders. Wir – das heißt alle mit Ausnahme der Besucher des Wiener Opernballs – haben keine Kleiderordnung. Wenn eine Frau nur mit Kopftuch öffentlich erscheinen will, dann ist das okay. Kinder und Schüler dürften hier kaum Probleme haben – der Lehrkörper ist ihnen sowieso Gegenstand höchster Verwunderung. Wir akzeptieren Frau Ludins Behauptung, dass ihr Kopftuch total privat gemeint ist. Nichts als ein Akt der Selbstbestimmung. Der Kampf geht weiter … KATHARINA RUTSCHKY