Medien, heraus zum 1. Mai!

Jedes Jahr stürzen sich Presse und TV auf die Berliner Randale. 2002 machte der SFB den HipHopper Jakob zum „Provokateur.“ Jetzt widmet er ihm ein Porträt (Do., RBB Berlin, 22.30/WDR, 0.30 Uhr)

von MAREKE ADEN
und SILVIA HELBIG

Wer wirklich mitbekommen will, wer in Berlin wo und wann wie Steine schmeißt oder Tränengas verschießt, muss sich vor Ort postieren. Auf das Fernsehen ist kein Verlass. Das haben die Sozialwissenschaftler Michael Blickhan und Simon Teune in dem Buch „Berlin, 1. Mai 2002 – Politische Demonstrationsrituale“ (Leske + Buderich) nachgewiesen, auf 23 Seiten, die sie der Rolle der Medien widmen.

Denn im letzten Jahr standen die Fernsehteams immer am falschen Ort. „Augenblicklich geschieht hier nichts Außergewöhnliches“, sprachen die Reporter von Sat.1, RTL, n-tv und SFB. Sie verwiesen aber darauf, dass anderenorts Randale von linken/linksextremen/gewaltbereiten Chaoten/Randalierern/Jugendlichen gerade stattfänden/stattgefunden hätten/demnächst stattfinden würden.

Origineller war Ulrich Zelle vom SFB. Wie im Vorjahr postierte sich vor dem Urbankrankenhaus, interviewte Ärzte und zählte die eingelieferten Verletzten. Getrennt nach Polizisten und „Randalierern“. So wie man ja auch zwischen den Opfern verschiedener Kriegsparteien trennt. Denn – das sollte nicht unerwähnt bleiben – natürlich herrschen am 1. Mai in Berlin jährlich „bürgerkriegsähnliche Zustände“. Die Krawalle/Ausschreitungen/Übergriffe werden bestimmt auch in diesem Jahr wieder „heftiger denn je“ (Tagesspiegel, 2002), sind „die schwersten seit zehn Jahren“ (Tagesspiegel 2001) oder „so schlimm wie nie“ (Bild, 2000).

Alle Reporter, die es nicht schaffen, an die Randalierer ranzukommen, müssen wieder kreativ werden, um die knisternde Atmosphäre dennoch einzufangen. Etwa durch das Hochhalten von Pflastersteinen. „Mit solchen Steinen wird hier geworfen.“ Damit hat auch Urbankrankenhausreporter Ulrich Zelle letztes Jahr seine Reportage gerettet, nachdem niemand mit Platzwunde eingeliefert wurde.

Alljährlich dürfen wir uns auch über eine Debatte freuen, welche Strategie die Polizei denn dieses Jahr fährt. Durch Umfragen können Zeitungen der Polizei die Entscheidung aber erleichtern. Das tat die Berliner Morgenpost letztes Jahr. Sie fragte gute Berliner Eckkneipenbürger um Rat: Die Polizei solle doch auf die Aufrührer schießen, rieten die – aber nur auf die Beine.

Auch die Reporter selbst können ausfällig werden. Am Beispiel von SFB-Mann Jan Lerch: Wie Jugendliche versuchen „die Polizei zu provozieren“, das könne man daran sehen, dass sie sogar vor den Flammen tanzten. „Die Breakdancer, die wir hier sehen, die türkischen Jugendlichen, die auch teilweise zu den Steinewerfern gehörten, haben sich wirklich einen Schabernack gemacht.“

Der Breakdancer, den der SFB filmte, war Jakob Seydel, der die Aktion schon vorher angekündigt hatte. Er wollte mit seinem Tanz beweisen, „dass wir mehr draufhaben, als Steine zu werfen“. Er habe gehofft, auch die Polizisten begeistern zu können. Den Grund für seinen Auftritt hatte er dem SFB auch vor laufender Kamera gesagt, der wollte aber lieber etwas Sensationelleres zeigen – und machte ihn zum Provokateur. Immerhin: In diesem Jahr porträtiert der Berliner Sender Jakob und will diesmal dessen wahre Absichten redlich wiedergeben. Es wird der erste Film sein unter dem RBB-Logo.